Linke Betriebsintervention – Wilde Streiks und operaistische Politik 1968 bis 1988

In der aktuellen Ausgabe von »Arbeit – Bewegung – Geschichte. Zeitschrift für historische Studien.« gibt es einen Schwerpunkt zum Thema »Linke Betriebsintervention – Wilde Streiks und operaistische Politik 1968 bis 1988«. Die aktuelle Nummer ist dabei auch ein Relaunch der Zeitschrift, die von 2002-2015 unter dem Titel »JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung« erschien.

Italien: von »Il Manifesto« zur »Militanten Untersuchung«

Eröffnet wird der Schwerpunkt der aktuellen Nummer mit einem Beitrag von Antonio Lenzi zur Entstehung der revolutionären Linken in Italien am Beispiel von »Il Manifesto« und »Lotta Continua«. Interessant ist dabei die wenig bekannte Geschichte von »Il Manifesto«, das bis heute bekanntlicher Weise noch unter dem Untertitel “Kommunistische Tageszeitung” existiert. “Il Manifesto” war jedoch weit mehr als eine linke Zeitung, beinhaltete es doch eine Zeit lang auch ein Organisierungsprojekt mit lokalen Basisgruppen in Abgrenzung von der als antiquiert empfundenen Politik der KPI.

In einem weiteren Artikel zeichnet David Serafino den Kampf gegen gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen beim Unternehmen »Chicago Bridge« 1968/69 nach. Linke Studierende nutzten hier ein Modell, das später auch unter dem Begriff »militante Untersuchung« bekannt wurde. Gemeinsam mit den Streikenden wurden Untersuchungen zur Gesundheitsbelastungen im Betrieb durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen bestimmten wiederum die Streikforderungen mit. Der Erfolg des Streiks veranlasste die etablierten Gewerkschaftsverbände ihre ablehnende Haltung gegenüber partizipativen Methoden zu überdenken.

BRD: von den Spontis zu den “wilden” Streiks multinationaler MassenarbeiterInnen

Sebastian Kasper zeichnet in seinem Beitrag die Betriebsinterventionen der frühen Sponti-Bewegung in der BRD nach. Beeinflusst von einer Welle “wilder” Streiks 1969 kam es in wesentlichen Teilen der Außerparlamentarischen Opposition zu einer Hinwendung zur Fabrik. Die Spontis wurden dabei vor allem von den operaistischen Aktivitäten in Italien beeinflusst. Zentren der Bewegung waren u.a. Hamburg (»Proletarische Front«), Frankfurt (»Revolutionärer Kampf«) und München (»Arbeitersache«). Im Gegensatz zu den K-Gruppen der Zeit stellten die Spontis nicht “den Facharbeiter”, sondern den “multinationalen Massenarbeiter” ins Zentrum ihrer Analysen. Zum zweiten stellten sich die Spontis gegen jede Form der StellvertreterInnenpolitik und wollten damit auch kein “richtiges Bewusstsein” in die Fabriken tragen. Als zentrale Methode wählten die Spontis die »Arbeiteruntersuchung«, um die Problemen der KollegInnen im Betrieb aufgreifen zu können. Ziel der Betriebsarbeit war es aber weniger konkrete Verbesserungen vor Ort durchzusetzen, als selbstbewusste Subjekte durch den »Kampf gehen die Arbeit« zu schaffen. Die Trennung zwischen ökonomischen (Gewerkschaft) und politischen (Partei) Kampf wurde abgelehnt, im Unterschied zu den K-Gruppen war es daher nicht Ziel Gewerkschaften von links zu unterwandern. Erst in einer zweiten Phase gab es auch bei den Spontis eine Hinwendung zu linker Gewerkschaftsarbeit. Grundsätzlich falsche Gesellschaftsanalysen, ein zu kurzer Atem und der Einflusss der Frauenbewegung führen schließlich zum Abbruch der Betriebsinterventionen durch die Spontis. Diese wenden sich ab Mitte der 1970er Jahren verstärkt der Arbeit außerhalb des Betriebes in den Lebenszusammenhängen der ArbeiterInnen zu. Die Themen Mieten, Wohnen, Umweltverschmutzung, Kindererziehung und feministische Fragen werden von nun an ins Zentrum gestellt. Überbleibsel sind bis heute etwa der Trikont-Verlag aus München.

Im Beitrag »Streik, Solidarität, Selbstermächtigung?« vergleicht Nelli Tügel den vor allem von MigrantInnen getragenen wilden Streik bei den Kölner Fordwerken 1973 kontrastierend mit dem Besetzungsstreik bei Krupp in Duisburg-Rheinhausen 1987/88. Beide Streiks bewegten sich nicht im Rahmen sozialpartnerschaftlicher Strukturen und waren daher auf Hilfe “von außen” angewiesen. Beide Streiks stießen auf breites öffentliches Interesse und wurden von Versuchen der Einhegung in hegemoniale Diskurse durch SPD und etablierte Gewerkschaften begleitet. Damit steuert Nelli Tügel einen wichtigen Debattenbeitrag zum Thema Grenzen und Chancen von »Streiksolidarität« bei.

Europa: transnationale Zusammenarbeit und Internationalismus in der Bewegung

Dietmar Lange berichtet von der Konferenz betriebsinterventionistischer Gruppen der europäischen radikalen Linken in Paris 1973. Insbesondere die italienische Gruppe »Potere Operaio« bemühte sich ab Anfang der 1970er Jahre um eine stärkere transnationale Vernetzung und Zusammenarbeit. Organisiert wurde die Konferenz dabei vom Koordinationsbüro in der Schweiz aus. Die Konferenz fand schlussendlich am Höhepunkt der spontanen Streikwelle in großen europäischen Industriebetrieben statt. Im Beitrag wird von Dietmar Lange ein zeitgenössischer Konferenzbericht dokumentiert, der ursprünglich als Beilage in der Wochenzeitung von »Potere Operaio« auf italienisch erschien.

Unter dem Titel “Terror der ausländischen Arbeiter” geht Thorsten Bewernitz den “wilden” Streiks im Rhein-Nechar-Gebiet 1973 nach. Die Streiks, an denen vor allem von migrantischen ArbeiterInnen beteiligt waren, wurden von linken Gruppen unterstützt. Für die meist migrantischen ArbeiterInnen brachte der Streik erhebliche Risiken, in Hinblick auf deren Aufenthaltsstatus und Zugang zu betriebseigenen Wohnung, mit sich. Bewernitz geht davon aus, dass dies auch wichtige Gründe waren, warum Streiks in vergleichbaren Betrieben zur gleichen Zeit etwa in Italien weit radikaler geführt wurden. Die Agitation von Spontis und K-Gruppen war dabei aber nicht Streikauslösend, auch deren Einfluss auf den Streikverlauf durch die linken Interventionen wurde wohl vielfach überschätzt. Durch die Fähigkeit Flugblätter in großen Auflagen und in verschiedenen Sprachen verbreiten zu können, kam den linken UnterstützerInnen ein wichtige MultiplikatorInnenrolle zu. Über den Streikverlauf konnten so KollegInnen überregional informiert werden. Am Schluss weist Bewernitz darauf hin, dass viele der am Streik beteiligten “Gastarbeiter” immer noch in Deutschland leben und als Beteiligte eine wichtige Quelle für weitere Studien wären.

Den Abschluss des Schwerpunktes bildet ein Interview mit Karl-Heinz Roth zu linker »Betriebsintervention und Internationalismus Anfang der 1970er-Jahre«. Roth war selbst Mitglied der »Proletarischen Front« und verfasste zusammen mit Angelika Ebbinghaus das Buch »Die “andere” Arbeiterbewegung«, das unter linken HistorikerInnen eine große Debatte auslöste. Inspiriert war das Buch u.a. von den eigenen Erfahrungen bei Betriebsinterventionen und der Streikwelle von 1973 an der sich viele MigrantInnen beteiligten. Roth zeichnet im Interview nach, wie der Bezug auf den italienischen Operaismus half, sich “gegen die anachronistischen und regressiven Tendenzen der maoistischen und K-Gruppen abzugrenzen, die sich nicht um die aktuelle Umstrukturierung der arbeitenden Klasse kümmerten und zu historisch überholten oder auch diskreditierten Manifestationsformen der Arbeiterbewegung zurückgekehrt waren.” Im Gegensatz dazu stand bei den operaistischen Betriebsinterventionen der Spontis die aus der Veränderung der Arbeitsorganisation entstehende Neuzusammensetzung der Belegschaften (»multinationaler Massenarbeiter«) im Vordergrund, so Roth.

Der Beitrag Linke Betriebsintervention – Wilde Streiks und operaistische Politik 1968 bis 1988 erschien zuerst auf ¡Sí, se puede!.

Quelle: ¡Sí, se puede!

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