Das vorliegende Buch handelt von drei Widerstandsgruppen unter maßgeblicher Mitwirkung von Frauen. Anhand dreier Protagonistinnen werden die Geschichte und Funktionsweise der jeweiligen »Netzwerke« sowie Spezifika des weiblichen Widerstands gegen den Faschismus und dessen Erinnerung herausgearbeitet. Die Autor_innen gehen dabei von einer Netzwerkanalyse aus, in deren Mittelpunkt hierarchischer Aufbau, soziale Funktion, Rolle von Frauen und Rekrutierung neuer Mitglieder steht.
Bei den Widerstandsnetzwerken geht es zum einen um den Kommunistische Jugendverband (KJV) Kreis VII (Wien-Landstraße, Wien-Simmering und Schwechat) unter Leitung von Barbara Eibensteiner (1917-1948), die »Kommunistische Tschechen-Bewegung in Wien« unter Mitwirkung von Irma Trksak (1917-2017) und die »Mischlingsliga Wien« (MLW) unter Mitwirkung von Gertrude Horn (1924-1992). Alle drei Gruppen wurden von Kommunist_innen gegründet und geleitet, wenngleich nicht alle drei Gruppen auch ausschließlich oder auch nur mehrheitlich aus Kommunist_innen bestanden.
Die MLW wird etwa als Sondersektion (“NN” für “nach Nürnberg”) des KJV gegründet, nachdem der Kontakt zur KJV Leitung wie auch der KPÖ nach Verhaftungswellen in diesen Dachorganisationen abreisst, ist die Sondersektion – relativ autonom – weiterhin aktiv. Die Mitglieder des gut 300 Personen umfassenden Netzwerkes hatten den Status als Geltungsjüd_innen und vor allem Halbjüd_innen nach den »Nürnberger Gesetzen« und waren dementsprechenden Restriktionen im Alltag unterworfen. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der MLW wusste zum Schutz ihres eigenen Netzwerks gar nicht, dass sie Teil des KJV und damit des kommunistischen Widerstandes waren. Wichtig für die Funktionsweise des Netzwerkes und auch Rekrutierung neuer Mitglieder war, die soziale Isolation im Alltag aufgrund antisemitischer Beschränkungen zu durchbrechen. Das Netzwerk diente für viele seiner Mitglieder also als Ort des sozialen Austausches, der darüber hinaus in der Gesellschaft nicht mehr möglich war. Umso erstaunlicher ist, dass die kommunistische Leitungsebene des Netzwerks in Verbindung mit der Partisan_innenbewegung in Jugoslawien steht, um diese zu unterstützen, rettende Fluchtoptionen für die Mitglieder aus Wien aufzubauen, wie auch um selbst an Sprengstoff zu kommen. Nach dem Auffliegen des Netzwerkes, gelingt es den Festgenommenen erfolgreich, die Organisation als „harmlose“ Verbindung des sozialen Austausches darzustellen.
Der KJV Kreis VII war eine vergleichsweise eigenständige Kreisorganisation innerhalb des Wiener KJV. Im Kreis VII konzentriert man sich, der Strategie des KJV verbunden, auf das Anwerben neuer Mitglieder und das Verteilen von antifaschistischen Druckwerken. Durch das Dreier-Zellen-System kommt es zu einem starken Zuwachs an Mitgliedern und sogar Bildung neuer Ortsgruppen auf Bezirksebene. Das streuen von Flugblättern wird speziell der Bezirksgruppe Simmering des KJV VII zum Verhängnis. Nach einer Verhaftungswelle im Jänner 1939 muss dieser seine Tätigkeit einstellen, die Kreisorganisation ist dadurch deutlich geschwächt.
Die »Kommunistische Tschechen-Bewegung in Wien« bzw. »Tschechische Sektion der KPÖ« versucht Mitglieder gezielt unter der tschechischen Bevölkerung zu werben. Diese wird spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten stark diskriminiert und ist im Alltag einem immer größeren Druck ausgesetzt. So müssen Schulen geschlossen werden und die Vereinstätigkeit eingestellt werden. Neben der Anwerbung neuer Mitglieder – durchaus auch aus dem bürgerlichen Milieu der Gemeinschaft – baut die kommunistische Leitung des tschechischen Netzwerks gezielt Kontakte zur Widerstandsbewegung in der Tschechoslowakei auf. Um den militanten Widerstand durch Hilfslieferungen zu unterstützen, aber auch um an Kampfmittel für Sabotageaktionen zu kommen. Nach der Enttarnung des Netzwerks gibt es mehrere Todesurteile gegen seine Angehörigen.
Interessant sind die im Buch herausgearbeiteten sozialen Unterschiede in der Zusammensetzung der einzelnen Netzwerke. Während der KJV sich vor allem aus proletarischen Jugendlichen – Lehrlinge, Fabrikarbeiter_innen, einfache Angestellte – rekrutiert, sind in der “Mischlings Liga” eher junge Menschen mit höherem Bildungsabschluss aktiv – was hier oft auch auf den akademischen, familiären Hintergrund schließen lässt.
Abgeschlossen wird das Buch durch die Auswertung von Gesprächen und Gesprächsrunden mit den Kindern von Widerstandskämpfer_innen. Interessant ist dabei, dass die Erfahrungen im Umgang der Eltern – Verfolgung und Widerstand, wie auch der Biografie nach 1945 – hier durchaus sehr unterschiedlich sind. Erinnern sich etwa Ernst-Josef Lauscher oder Ruth Steindling daran, dass in ihren Familien bei sehr vielen Gelegenheiten mit Gäst_innen – wohl meist Genoss_innen, die zu Hause auf Besuch waren – über KZ-Haft und Widerstand der Eltern gesprochen wurde und das mitunter als durchaus kurzweilige Abenteuergeschichten verpackt. Andere Kinder berichten wiederum davon, dass im Elternhaus kaum bis gar nicht über diese Themen gesprochen wurde. Hinter diesen beiden Strategien von Eltern vermuten die Kinder die Bewältigung einer starken Traumatisierung.
Jenseits der Gruppeninterviews wird auch an Hand von anderen Aufzeichnungen und Gesprächen das weitere Leben der drei Hauptprotagonistinnen nach 1945 nachgezeichnet. Alle drei waren nach 1945 weiterhin politisch aktiv und im Umfeld der KPÖ angestellt, wie auch im KZ-Verband tätig. Darüber hinaus waren die drei Frauen aktiv am Aufbau der Lagergemeinschaft Ravensbrück beteiligt.
Ein Fokus wird im Buch auch auf das “Demokratie-Verständnis” der drei Akteurinnen nach 1945 gelegt. Einerseits geht es den Autor_innen darum nachzuzeichnen, inwieweit autoritäre oder stalinistische Denkweisen die Hauptprotagonistinnen des Buches in Bezug auf ihr Verhältnis zum demokratischen Österreich nach 1945 begleitet haben, andererseits bleibt unklar, was genau unter “Demokratie-Verständnis” zu verstehen ist. Klar zu sein scheint, dass die drei Akteurinnen freie Wahlen in Österreich nach 1945 durchaus zu schätzen gewusst zu haben, waren sie doch dafür einst im Widerstand aktiv. Die rasche Eingliederung ehemaliger Nationalsozialist_innen in die Parteienlandschaft wurde hingegen kritisch gesehen. Dabei kann natürlich davon ausgegangen werden, dass es unmittelbar nach 1945 keinen kritischen Blick auf die Sowjetunion unter Stalin gegeben hat, sich dieser auch unter den Protagonistinnen des Buches – in unterschiedlichen Abstufungen – erst nach und nach – analog zu den Brüchen der Entwicklung in der KPÖ – entwickelt hat. Die vielleicht nicht ganz schlüssige Art der Thematisierung eines “Demokratie-Verständnises” ist aber vielleicht auch dem Fördergeber des Buches – Stadt Wien aus Anlass eines “Demokratie-Jahres” – geschuldet.
Für Interessierte an der Lokalgeschichte Simmerings gibt es auch einige Hinweise auf die Widerstandsgeschichte des 11. Wiener Gemeindebezirks(1). Da wären einerseits die schon erwähnten Hinweisen des Sohns von Josef Lauscher(2) auf einzelne Aspekte der Biografie seines Vaters. Aber auch die Personen Franz Danimann(3), Max Schernbrandtner(4) und Franz Schipany(5) werden im Buch in Zusammenhang mit KJV VII oder »Kommunistischer Tschechen-Bewegung« genannt.
Im Buch gibt es darüber hinaus aber auch einen Überblick über den Forschungsgegenstand zum weiblichen Widerstand gegen den Faschismus, dessen Beginn in Österreich mit dem Buch “Der Himmel ist blau. Kann sein – Frauen im Widerstand. Österreich 1938–1945” von Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth Trallori aus dem Jahr 1985 festgemacht wird. Im Buch wird ausführlich auf die Quellensituation eingegangen. Verwendete Quellen sind im wesentlichen Gerichtsakten, die Kritisch untersucht werden, oder soweit vorhanden Interviews mit den Hauptprotagonistinnen. Zusätzlich dazu kommt noch die Auswertung von Gruppengesprächen mit Kindern von Widerstandskämpfer_innen.
Oftmals zitiert wird überdies die 1971 erschienene Dissertation des Historikers Walter Göhring. Diese ist der Geschichte des KJVÖ und dessen Widerstand gegen den Faschismus gewidmet. Kritisiert wird durch die Autor_innen des vorliegenden Buches jedoch, dass Göhring – wie auch männliche Protagonisten des Widerstands – die Rolle von Frauen im Widerstand zu wenig im Blick hatte und diese mitunter unsichtbar blieben, wiewohl diese als zentrale oder leitende Personen im KJV aktiv waren, wie u.a. durch das Beispiel Barbara Eibensteiner untermauert wird. Das Buch “Meine Mama war Widerstandskämpferin” ist dementsprechend ein wichtiger Baustein, um die Rolle von Frauen im Widerstand gegen den Faschismus sichtbarer zu machen.
Video-Präsentation des Buches
Die Autor*innen Dr. Helga Amesberger, Dr. Brigitte Halbmayr und Simon Clemens stellen ihre Forschung über Frauen im Widerstand in Österreich und die Erfahrungen der Kinder jener Frauen für das Ravensbrück Memorial Museum vor. Sie verbinden dabei die Biografien der Mütter mit den Perspektiven der zweiten Generation und nehmen dabei eine gezielte Gender-Perspektive ein.
Irma Trksak im Gespräch
In der österreichischen Mediathek finden sich mehrere Zeitzeugengespräche mit Irma Trksak. Besonders umfangreich ist das 1988 geführte Interview von Michael John.
https://www.mediathek.at/katalogsuche/suche/?q%5B%5D=Irma+Trksak
Fussnoten
(1) Andererseits agierte der KJV Kreis VII schon bald recht eigenständig von der Zentrale. Speziell die Bezirksgruppe in Simmering, unter Leitung des Hilfsarbeiters Franz Danimann(2) und dessen Stellvertreter Max Schernbrandtner(3) existierte zwar ab Sommer 1938 bis zu deren Verhaftung der beiden Anfang 1939 nur ein gutes halbes Jahr lang, werden aber im Buch dokumentiert. Durch das Dreier-Zellen-System und die Anwerbung neuer Mitglieder kommt es in Simmering zur Bildung zweier Ortsgruppen (Zentral-Simmering und Kaiser-Ebersdorf). Alleine Max Schernbrandtner soll dabei in der kurzen Zeit seiner Aktivität – laut Strafakt – 40 Personen angeworben haben. Franz Danimann unterwanderte schon vor 1938 faschistische Organisationen, war u.a. Ortsgruppenleiter der Gärtnern in der Gewerkschaft aber auch Jugendleiter der Katholischen Jungen Front Schwechat. Ein zentrales Tätigkeitsfeld im Widerstand des KJV war, auf diese Weise neue Mitglieder zu gewinnen. Das andere Tätigkeitsfeld war das Verteilen von Flugblättern und anderen Schriften. Das wurde dem KJV Simmering auch zum Verhängnis. Am 24. Jänner 1939 streuten Mitglieder des KJV Simmering in mehreren Bezirken Wiens Flugblätter mit folgendem Inhalt: ”UM DEN FRIEDEN ZU SICHERN fordert die vereinigte sozialistische Partei alle antifaschistischen Kräfte des österreichischen Volkes auf zu kämpfen (…). Österreichs Volk, Zusammenschluss ALLER antifaschistischer Kräfte, Kommunisten, sozialisten, parteilose Katholiken in einer Front ist die Voraussetzung zur Verhinderung des Krieges, zum Sturz des Faschismus. Es lebe die Volksfront! Friede, Freiheit, Brot für ein unabhängiges Österreich!” Mindestens 15 Mitglieder wurden daraufhin verhaftet, mindestens 13 Mitglieder dafür verurteilt. Damit war der KJV Simmering so geschwächt, dass er seine politischen Aktivitäten einstellen musste, so wird der Historiker Walter Göhring zitiert.
Weitere Hinweise zu Simmering finden sich im Abschnitt über den tschechischen Widerstand in Wien: “Zu mir kam z.B. Franz Schipany(4). Er holte sich Flugblätter ab für seine Fabrik. Ich wusste nur: Er war aus dem 11. Bezirk. Mehr sollten wir gar nicht wissen.” – berichtet etwa Irma Trksak zur Konspirativität der Gruppe.
(2) Josef Lauscher, (* 1. Februar 1912 in Wien; † 1975 in Wien), war ein Widerstandskämpfer und Gemeinderatsabgeordneter der KPÖ. Der Beitritt des älteren Bruders Fritz Lauscher zum Kommunistischen Jugendverband (KJV) im Jahr 1922 war Ausgangspunkt für den politischen Werdegang auch von Josef Lauscher. Als Obmann des Wiener KJV beteiligt er sich an den Februarkämpfen. Zwei Tage nach dem „Anschluss“ wurde Josef Lauscher gemeinsam mit seinem Bruder verhaftet. Im Mai wurden beide in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Erst nach fast sieben Jahren KZ-Haft sollten sie die Freiheit wiedererlangen. Josef Lauscher gelang 1945 die Flucht aus der KZ-Außenstelle von Mauthausen in Simmering. Lauscher wurde nach 1945 Gemeinderatsabgeordneter der KPÖ und Stadtparteisekretär in Wien.
(3) Franz Danimann, (* 30. Juli 1919 in Lugos, Rumänien; † 1. Juni 2013 in Wien) war ein österreichischer Jurist und ehemaliger Widerstandskämpfer, der dem Lagerwiderstand im KZ Auschwitz (“Kampfgruppe Auschwitz”) angehörte. 1945 veröffentlichte er mit Kurt Hacker u. a. den Bericht: “Die Hölle von Auschwitz. Millionen Ermordete klagen an.” In: Neues Österreich – Organ der demokratischen Einigung vom 6. Mai 1945. Ab den 1960er-Jahren veröffentlichte er mehrere Arbeiten zur österreichischen NS-Vergangenheit. Franz Danimann war Ehrenvorsitzender der Lagergemeinschaft Auschwitz und Ehrenmitglied des Bundes Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer/innen, Opfer des Faschismus und aktiver Antifaschist/inn/en.
(4) Max Schernbrandtner, (* 20. März 1919 in Wien; † unbekannt) war ein österreichischer Widerstandskämpfer. Über seinen Verbleib ist nichts bekannt.
(5) Franz Schipany (Sipany), (* 22.2.1915 in Brünn; † 6. November 1941 in Mauthausen) war Feinmechaniker und gehörte einer tschechischen Widerstandsgruppe in Wien („Tschechische Sektion der KPÖ“) an. Er wurde am 10.9.1941 festgenommen und am 6.11.1941 im KZ Mauthausen zusammen mit 19 weiteren Aktivisten der Gruppe erschossen.