Der von Peter Nowak herausgegebene Sammelband »Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken« stellt prekäre Arbeitskämpfe in den letzten 10 Jahren in den Mittelpunkt. Dabei wird immer wieder der Frage nachgegangen, wie Solidarität und eine gemeinsame Organisierung unter unsicheren Arbeits- und Lebensbedingungen hergestellt werden kann? Zu einer Buchpräsentation und Diskussion kommt Peter Nowak am 17.3. nach Graz und am 18.3. nach Wien.
Prekäre Arbeitskämpfe in Frankreich, Italien & darüber hinaus
Willi Hajek schreibt in seinem einleitenden Beitrag über »Das Europäische Netzwerk der Basis- und alternativen Gewerkschaften« über eine neue, an der Basis orientierte Gewerkschaftsbewegung und die von ihr unterstützen Arbeitskämpfe in Frankreich. Hier gab es in den letzten Jahren erfolgreiche Streiks von teils un(ter)dokumentierten MigrantInnen im Dienstleistungsbereich, wie der Hotelreinigung oder Angestellten von Friseursalons, die von linken Gewerkschaften wie »Confédération générale du travail« (CGT) unterstützt wurden. Zugleich verstärkten Privatisierungsprozesse die Prekarisierung von Lohnarbeit bei Unternehmen wie France Telekom, der Post, in Krankenhäusern oder im Energiekonzern EDF. Dies hatte in den Bereichen des (ehemaligen) öffentlichen Diensts Arbeitskämpfe zu Folge, die ebenfalls stark von den Anliegen der Beschäftigten ausgingen und von den Gewerkschaften »Solidaires, Unitaires, Democratiques« (SUD) und CGT überregional mitgetragen wurden. Die sichtbarste Kampfbewegung in Frankreich war seit 2003 jedoch die der »Intermittants«. Vor allem organisert in der »cgt spectacle« und »sud culture« schaffte die Bewegung der prekären KulturarbeiterInnen mit spektakulären Aktionen auf die eigenen Forderungen – wie eine durchgehende soziale Absicherung, trotz oft wechselnder Jobs – aufmerksam zu machen. Wenig erfährt man in dem Text von Willi Hajek leider von den konkreten Organisierungsschritten hin zu diesen beispielgebenden Arbeitskämpfen.
In dem Beitrag von zwei labournet.tv AktivistInnen geht es um die Selbstorganisierungsprozesse im Logistikbereich in Italien in den letzten Jahren. Der Schwerpunkt der Arbeitskämpfe befand sich in der Po-Ebene (um die Städte Mailand, Piacenza, Bologna und Padua) die Drehscheibe für den internationalen Logistikbereich ist. Unternehmen betreiben hier seit Jahren Lohn- und Sozialdumping in dem sie Arbeit in als “Kooperativen” bzw. Genossenschaften getarnten Subunternehmen auslagern. Während die großen Gewerkschaften versuchten durch Aushandlung schlechter Verträge mit Unternehmen die Arbeitssituation gegen die Interessen ihrer Mitglieder zu legalisieren, unterstützte die Basisgewerkschaft S.I.Cobas Beschäftigte und deren Arbeitskämpfe in der Logistik in den letzten Jahren sehr konsequent. Der Erfolg gibt S.I.Cobas Recht, hat dies doch dazu geführt, dass die Basisgewerkschaft heute beispielsweise beim Transportunternehmen TNT einen Mitgliederanteil von 80% hat. International bekannt wurde jedoch der Streik der Logistikarbeiter von IKEA im zentralen Warenlager in Piacenza. Dieser wurde nicht nur von der S.I.Cobas unterstützt, sondern auch von linken Gruppen und Unterstützungskomitees aus der Region, später auch durch Soliaktionen in ganz Europa.
In den Folgenden Artikeln und Interviews widmet sich Peter Nowak dem Labourstart-Netzwerk, dass seinen Sitz in London hat und seit 1998 versucht “globale Solidarität” praktisch werden zu lassen. So werden etwa Gewerkschaften in Textilfabriken im globalen Süden unterstützt oder erfolgversprechende Modelle gesammelt, wie sich Gewerkschaften für MigrantInnen mit unterschiedlichem Aufenthaltsstaus öffnen können.
In einem kurzen Text zu den Hintergründen des Films »Pride« aus dem Jahr 2014, geht es um die historischen Grundlagen für neue Allianzen im Zuge des Bergarbeiterstreiks. Mit dem Grundwick-Streik gelang es 1977 erstmals britische Gewerkschaften für die Anliegen von Frauen aus Asien zu interessieren.
Erfahrungen aus Deutschland in den letzten 10 Jahren
Unter dem Titel »H&M und Amazon – wenn ein Streik gesellschaftlich unterstützt wird« geht Peter Nowak der Frage nach, welche Bedingungen für ein gelungenes Zusammenspiel zwischen etablierten Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Deutschland in den letzten Jahren ausschlaggebend waren und welche Perspektiven sich hieraus ergeben. Im Gefolge der EuroMayDay-Bewegung gab es je nach Land ein recht unterschiedliches Zusammenspiel zwischen etablierten Gewerkschaften, Basisgewerkschaften und BewegungsaktivistInnen. In Deutschland etwa erreichte die Zusammenarbeit von MayDay-AktivistInnen, Angestellten im Einzelhandel, BetriebsrätInnen und GewerkschaftssekretärInnen mit der Entwicklung des Aktionskonzepts »kritische KundInnen« gegen Lidl & Co und der Aktion »Dichtmachen« 2008 ihren Höhepunkt. Beim Einzelhandelsstreik 2013 setzte ver.di hingegen auf gewerkschaftliche Blitzaktionen statt auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Blockupy-AktivistInnen. Peter Nowak erklärt dies mit unterschiedlichen Ausgangsbedingen 2008 und 2013. War ver.di 2008 mit dem Arbeitskampf in der Defensive und hat sich daher BewegungsaktivistInnen geöffnet, hatte sich die Situation 2013 geändert. Durch die Debatte um den Mindestlohn war die Gewerkschaft nun in der Offensive, eine Allianz mit Sozialen Bewegungen war – kurzfristig gedacht – nicht notwendig. Als »Leuchtturm im Osten« bezeichnet Nowak hingegen das Bündnis »Streiksoli«, dass 2013 mit den streikenden Amazon-Beschäftigten im Leipzig Kontakt aufgenommen hatte. Das Bündnis Verteilte Flugblätter in Fußgängerzonen, unterstützte bei Kundgebungen, um so in der Gesellschaft für Verständnis für die Anliegen der Streikenden zu werben. Zwischenzeitlich gibt es auch rund um andere Amazon-Standorte ähnliche Solidaritätsbündnisse.
Im Interview mit Andreas Komrowski, Mitglied der Vertrauensleuteversammlung Taxi bei ver.di Berlin geht es um die Schwierigkeiten von Organisierungsprozessen im Bereich der TaxifahrerInnen. Den prekären Arbeitsbedingungen liegen sehr unterschiedliche Arbeitsverhältnisse zu Grunde, die wiederum unterschiedliche Interessen zur Folge haben. Vor diesem Hintergrund erscheint die Schnittstellenarbeit zwischen basisgewerkschaftlicher Organisierung und der Notwendigkeit von etablierten Gewerkschaftsstrukturen von besonderer Bedeutung, da beide Ansätze ihre Stärken und ihre Grenzen haben.
Unter dem Titel »Arbeitskampf im Spätkauf« geht es um die rechtliche Unterstützung der Freien ArbeiterInnenunion (FAU) für einen Spätkauf-Angestellten. Wenngleich dies der einzige bekannte Fall eines Späti-Kollegen ist, der sich gegen seine Arbeitsbedingungen schlussendlich gewehrt hat, liegen die Arbeitsbedingungen hier generell im Argen. Die von Nowak aufgeworfene Frage bleibt, welche neuen Formen der Organisierung müssen auch durch Basisgewerkschaften wie die FAU entwickelt werden, um KollegInnen unter stark vereinzelnden Arbeitsbedingungen zu erreichen, damit diese eher den Konflikt wagen?
Keine typischen Gewerkschaftsmitglieder: SexarbeiterInnen, Gefangene, Flüchtlinge, Sorge- und KulturarbeiterInnen
Wenngleich im Fachbereich »Besondere Dienste« bei ver.di Hamburg seit einigen Jahren auch SexarbeiterInnen organisiert sind, kommen diese doch immer wieder unter Druck. Regelmäßig wird auch von linker Seite in Frage gestellt, ob “Sexarbeit” überhaupt eine “Arbeit” ist. Arbeitskämpfen von SexarbeiterInnen werden daher generell wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Mehr Aufmerksamkeit erregte in den letzten zwei Jahren die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), die mittlerweile ein paar hundert Mitglieder in mehr als 30 Gefängnissen organisiert und damit wohl die relativ am stärksten wachsende Gewerkschaft in Deutschland ist. Wenngleich die gewerkschaftliche Organisierung von Gefängnisleitungen immer wieder massiv erschwert wird, geht es der Gewerkschaft um bessere Haftbedingungen, vor allem aber auch um den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping durch die von Gefangen verrichtete Arbeit zu niedrigsten Löhnen und weitgehend ohne Versicherungsleistungen.
In ihrem Beitrag zur solidarischen Organisierung von Sorgearbeit betont Alexandra Wischnewski aus den Erfahrungen des Netzwerks »Care Revolution« und des Charité-Streiks in Berlin wie wichtig es ist, unterschiedliche Perspektiven und Interessen in gemeinsame Forderungen und Aktionen zu übersetzen. Die Aussicht auf erfolgreiche Kämpfe besteht hier nicht nur darin, die Spaltungen zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen wie ÄrztInnen oder Pflegepersonal zu überwinden, sondern auch die Interessen von PatientInnen und Angehörigen einzubeziehen.
Mitglieder ohne legalem oder mit prekärem Aufenthaltsstatus stellen Gewerkschaften in Deutschland vor neue Herausforderungen. Auch innerhalb der DGB-Gewerkschaften haben dabei die Auseinandersetzungen über die von der Gewerkschaftsspitze mitgetragene Flüchtlingspolitik in den letzten Jahren zugenommen. Dies wurde an Hand der Räumung der von Geflüchteten besetzten DGB-Berlin-Brandenburg Zentrale 2014 und der Initiative »Lampedusa-in-Hamburg« sichtbar.
Nicht nur in Frankreich auch in Deutschland hat es in den letzten Jahren Arbeitskämpfe im Kulturbereich gegeben. So etwa im von Claus Peymann geleiteten Berliner Ensemble. Dort wurde die Doppelbödigkeit von gesellschaftskritischen Theateraufführungen und den zugleich immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen für den Großteil der Belegschaft im Zuge eines Arbeitskampfs zum Thema. Ob der Arbeitskampf durch ihre medienwirksame Intervention von außen beeinflusst werden konnte, stellt das Kollektiv »Das Grollen im Zuschauermagen« selbstkritisch in Frage. Das Potenzial durch Aktionen wie diese Druck auf ArbeitgeberInnen aufzubauen, wird aber deutlich sichtbar.
Nicht mehr was tun, sondern wie tun?
Schlussendlich bleiben viele Fragen um das »Wie?« und die Frage nach neuen Formen der Organisierung offen. So weist auch der Abschlussbeitrag der »Antifa Kritik und Klassenkampf« ungewollt deutlich darauf hin, dass es nicht an »richtigen« oder kritischen Gesellschaftsanalysen fehlt, sondern an Wissen um Organisierung und adäquate Methoden dafür. Das ist wohl der Kern des Problems vieler linker Ansätze vor dem Hintergrund der zunehmenden Dringlichkeit einer Neuausrichtung linker Politik in der Krise.
Nichts desto trotz oder gerade deswegen ist das Buch eine Leseempfehlung weil es wichtige Impulse und Beispiel für eine Diskussion rund um eine zeitgemäße gewerkschaftliche Organisierung unter den Bedingungen einer fortschreitenden Prekarisierung aller Arbeits- und Lebensverhältnisse geben kann. Das Buch zeigt auch, dass die wesentliche Frage von linker Seite nicht einfach in der Entscheidung zwischen »reformistischen« Großgewerkschaften oder ausschließlich außerhalb, in »antikapitalistischen« Basisgewerkschaften liegt, haben doch beide Ansätze ihre Grenzen. So verstellt dies die Sicht auf Brüche, neue Ansätze und sich ändernde Spielräume in etablierten Gewerkschaften, zum anderen aber auch auf die Defizite und mangelnde Überzeugungskraft linker Organisierungsangebote. Die Stärke des Buches ist all diese Ambivalenzen recht deutlich sichtbar zu machen.
Der Herausgeber Peter Nowak hat übrigens auch einen sehr empfehlenswerten Blog, auf dem seine aktuellen Interviews, Analysen und Beiträge – nicht nur zu Arbeitskämpfen und gewerkschaftlicher Organisierung – für diverse deutschsprachige Zeitungen erscheinen. Auch das ein Lesetipp!
Der Beitrag »Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht« erschien zuerst auf ¡Sí, se puede!.
Quelle: ¡Sí, se puede!