Oh heiliger Prekario!
Beschützer unser, der Prekären dieser Erde.
Gepriesen sei die Krise des Kapitalismus,
dessen Ende und das schöne Leben komme. […]
Der 29. Februar ist der Feiertag von San Precario, dem Schutzheiligen aller von Prekarisierung Betroffenen. San Precario wurde 2004 von EuroMayDay-AktivistInnen in Mailand erfunden. Die erste Erscheinung des Heiligen in der Öffentlichkeit war, während der Sonntagsöffnungszeit eines lokalen Supermarktes am 29. Februar 2004. Seitdem wurden Statuen und Bilder von San Precario im Zuge von Sozialprotesten in vielen Städten Europas mitgeführt.
Um auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Bekleidungs- und Modebranche hinzuweisen, wurde im Rahmen der mailänder Modewoche 2005 die fiktive Modedesignerin Serpica Naro (ein Anagramm von San Precario) ins Leben gerufen. Die EuroMayDay-AktivistInnen schafften es dadurch prekäre Arbeitsverhältnisse direkt am Catwalk der internationalen Modewelt sichtbar zu machen.
Konzept & Geschichte
Bereits 1994 haben KunstaktivistInnen die kollektive Identität »Luther Blissett« angenommen und unter diesem Pseudonym einen populären Helden neuen Typs kreiert. In Italien lancierte die Gruppe bis 1999 Pressekampagnen, in deren Zentrum erfundene Personen standen. »Wu Ming« nennt sich ein erfolgreiches Autorenkollektiv, das daraus hervorging und in deren Romanen linke Mythen und Helden bis heute eine zentrale Rolle spielen.
Vor dem Hintergrund der Analyse, dass traditionelle Interessensvertretungen der ArbeiterInnenbewegung und der etablierten Linken viele Bereiche neuer Arbeits- und Verhältnisse mehr erreichen können, wurde von EuroMayDay-AktivistInnen versucht zeitgemäße Formen der Organisierung und von widerständigen Traditionen – wie den Schutzpatron – zu entwickeln. Gruppen wie die »Chainworkers« (also die »HandelskettenarbeiterInnen«) in Mailand konnten durch unkonventionelle Organizing-Kampagnen hunderte Angestellte großer Handelsketten organisieren und bei prekären Arbeitskämpfen unterstützen. Wichtige Elemente dieser Organisierungsansätze waren dabei ein konfliktorientiertes Vorgehen und das Produzieren einprägsamer Bilder (daher auch San Precario), um eigene Anliegen medial zu transportieren.
San Precario in Österreich
In Österreich wurde San Precario zum ersten Mal von AktivistInnen in Innsbruck aufgegriffen, später erschien der Heilige dann auch verstärkt im Zuge der EuroMayDay Mobilisierungen in Wien. Auch auf der Romaria – Wallfarten in Solidarität mit Flüchtlingen und im Zuge der Proteste gegen den FPÖ-Burschenschafter-Ball ist San Precario schon in Erscheinung getreten.
Weil besonders Frauen von prekären Arbeitsbedingungen betroffen sind, wurde von der GPA-djp “Santa Precaria” 2008 als Schutzheilige ins Leben gerufen. Am 29. Februar 2008 und 2012 kam es unter dem Label “Santa Precaria” in Österreich zu gewerkschaftlichen Aktivitäten rund um das Thema Prekarisierung, auch ein eigener Blog wurde dafür ins Leben gerufen. Von der kämpferischen Kampagne gegen Prekarisierung in Italien ist hier nicht viel geblieben. Schon am unglücklich gewählten Logo wirkt die Santa Precaria der österreichischen Gewerkschaft zerbrechlich und reproduziert damit gängige Vorstellungen von Frauen als ohnmächtige Opfer.
Mittlerweile hat es San Precario in Österreich übrigens auch schon in diverse Ausstellungen geschafft. Darunter auch in die Dauerausstellung im Technischen Museum unter dem Titel »In Arbeit.«.
Kollektiv handlungsleitende Wirkung von Mythen
Was können auch AktivistInnen heute noch von San Precario lernen? Einerseits natürlich wie Kampagnen in Bereichen aussehen können, die von etablierten Organisierungsansätzen nicht erreicht werden. Zum anderen aber wie wichtig es ist kollektive Mythen und eigene Bilder als gemeinsamer Gegenentwurf zu den bestehenden Verhältnissen zu produzieren.
In dem Sinne: Happy Birthday, San Precario!
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Quelle: ¡Sí, se puede!