Gewerkschaft neu zusammensetzen


Der scheidende AK-Direktor Werner Muhm machte zuletzt mit Aussagen zur Abschottung des Arbeitsmarkts auf sich aufmerksam. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist jedoch eine sachliche und differenzierte Debatte gefragt. Nicht zuletzt das jüngste Bundesforum der mitgliederstärksten österreichischen Gewerkschaft hat gezeigt, dass rund um das Thema Arbeit, Flucht & Migration so manches in Bewegung geraten ist.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Flüchtlingsbewegungen wurden im November beim Bundesforum, dem höchsten Entscheidungsgremium der Gewerkschaft der Privatangstellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) gleich mehrere Anträge zu diesem Themenfeld eingebracht. Darunter ein überparteilicher Antrag von Gewerkschaftsmitgliedern mit dem Titel »Legale Fluchtwege öffnen! Zivilgesellschaftliches Engagement absichern! Wer Banken rettet, muss auch Menschen retten!«. Darin werden sowohl die verfehlte EU-Migrationspolitik in Form der Dublin-Konventionen als auch das Versagen der österreichischen Regierung betreffend die Unterstützung von Flüchtlingen auf nationaler Ebene etwa bei Unterbringung, Versorgung, Integration in den Arbeitsmarkt oder Sprachförderung scharf kritisiert. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit der Delegierten angenommen.

Die größten Diskussionen gab es jedoch im Zusammenhang mit einem Antrag aus der »UNDOK-Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender«. Die darin enthaltenden Forderungen zur raschen Öffnung des Arbeitsmarktes für AsylwerberInnen sorgten für teils heftige Diskussionen quer durch die politischen Fraktionen. Einer Mehrheit der Delegierten waren die Forderungen schlussendlich zu weitreichend, der Antrag wurde in zentralen Punkten stark abgeändert, die Forderung nach einem freien Arbeitsmarktzugang für AsylwerberInnen leider nicht beschlossen.

Gewerkschaften in der Krise

Nach wie vor beherrscht die Angst vor Jobverlust und Verdrängungseffekten am Arbeitsmarkt auch die gewerkschaftliche Logik. Klar ist, Verdrängung findet statt. Viele Branchen würden zugleich ohne MigrantInnen jedoch gar nicht mehr funktionieren, wie es Rudolf Kaske in einem Interview von 2011 auf den Punkt bringt. In der Debatte bleibt meist unerwähnt, dass es ArbeitgeberInnen sind, die die prekäre Situation von vielen MigrantInnen gezielt ausnutzt. So fordert etwa die Industriellenvereinigung die Öffnung des Arbeitsmarkts für AsylwerberInnen ebenso wie NGOs oder progressive GewerkschafterInnen. Hintergründe dafür unterscheiden sich jedoch grundsätzlich: Während ArbeitgeberInnen dies nutzen wollen, um soziale Mindeststandards für alle zu senken, rücken NGOs oft humanitäre Argumente ins Zentrum. Linke Perspektiven beinhalten hingegen Forderungen nach Vermögensumverteilung und Arbeitszeitverkürzung für alle. Aus gewerkschaftlicher Sicht folgt daraus eigentlich die konsequente Organisierung von ArbeitnehmerInnen jenseits von ihrem Aufenthaltsstatus, nicht der Ausschluss von MigrantInnen vom Arbeitsmarkt. Denn solange der Zugang zum Arbeitsmarkt für solche KollegInnen beschränkt ist, werden diese in die undokumentierte Arbeit und die Scheinselbstständigkeit gedrängt. Dies führt nicht nur zu Lohn- und Sozialdumping, sondern auch zu einer weiteren Schwächung aller ArbeitnehmerInnen.

Dass in österreichischen Gewerkschaften solche Fragen überhaupt diskutiert werden, ist dabei alles andere als selbstverständlich. Denn Gewerkschaften in Österreich haben – stärker als etwa jene in Deutschland oder der Schweiz – in der Vergangenheit eine distanzierte bis ablehnende Haltung gegenüber migrantischen ArbeitnehmerInnen eingenommen. Bis vor wenigen Jahren wurden MigrantInnen von diesen in erster Linie als Konkurrenz für »heimische« Arbeitskräfte gesehen, die nach Möglichkeit nur temporär ins Land gelassen werden sollten. So musste etwa das passive Wahlrecht für Nicht-EU-BürgerInnen bei Betriebsrats- und Arbeiterkammerwahlen in den 1990er Jahren von KollegInnen ohne österreichischen Pass höchstgerichtlich erstritten werden, tatsächlich umgesetzt wurde es letztlich erst im Jahr 2006. Im Vergleich: In Deutschland können MigrantInnen auf betrieblicher Ebene immerhin bereits seit Anfang der 1970er Jahre mitbestimmen. Da Mitbestimmung in österreichischen Gewerkschaften zumeist Betriebsräten vorbehalten ist, hat dies bis heute zur Folge, dass MigrantInnen und deren Interessen in Gewerkschaften unterrepräsentiert sind. Hier besteht also großer Aufholbedarf.

Neue Wege im Kampf um soziale Gerechtigkeit

Trotzdem hat sich in den letzten Jahren auch einiges getan. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer mehrfachen Krise von Gewerkschaften in westlichen Industrieländern, die auch an österreichischen Gewerkschaften nicht spurlos vorbei gezogen ist. Diese Krise besteht zum einen aus einem schwindenden Einfluss von Gewerkschaften angesichts neoliberaler Angriffe auf ArbeitnehmerInnenrechte; zum Zweiten besteht die Krise aus einem massiven Mitgliederschwund in Folge prekärer werdender Arbeits- und Lebensverhältisse. Dies hat zur Folge, dass viele ArbeitnehmerInnen von traditionellen Gewerkschaften nur noch schwer erreicht werden, so sie überhaupt als potentielle Mitgliedern wahrgenommen werden.

In anderen Ländern sind diese Entwicklungen schon länger zu beobachten. Unter dem Slogan »Sí Se Puede!« versuchen Gewerkschaften in den USA seit den 1990er Jahren die rund 22 Millionen migrantischen ArbeitnehmerInnen – unabhängig von einem legalen Aufenthaltsstatus – durch »Organizing«-Kampagnen sehr aggressiv als Mitglieder zu gewinnen. MigrantInnen treten wiederum Gewerkschaften verstärkt bei, da viele von unsicheren Lebensverhältnissen und Abschiebung bedrohten KollegInnen glauben, dass sie so ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern können, ohne individuelle Repressalien fürchten zu müssen. Gewerkschaften greifen die Interessen ihrer Mitglieder dadurch vermehrt auf und bringen diese mit an den Verhandlungstisch mit der ArbeitgeberInnenseite.

So verhandeln Gewerkschaften wie die Dienstleistungsgewerkschaft Unite Here für ihre Mitglieder beispielsweise Erleichterungen und Unterstützung am Weg zur Erlangung eines legalen Aufenthaltsstatus durch ArbeitgeberInnen. Seit über zehn Jahren positioniert sich auch der große Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO in dieser Frage sehr offfensiv. Dieser fordert etwa eine Legalisierung aller undokumentierten ArbeiterInnen und verurteilt fremdenpolizeiliche Maßnahmen der US-Ausländerbehörde gegen Gewerkschaftsmitglieder.

Gewerkschaft neu zusammensetzen

Doch man muss gar nicht so weit wie in die USA blicken, um eine Revitalisierung von Gewerkschaften zu beobachten. Auch in der benachbarten Schweiz positioniert sich die Gewerkschaft Unia in dieser Frage eindeutig. Nachdem über die Hälfte der Mitglieder der größten Gewerkschaft der Schweiz keinen Schweizer Pass haben, bezeichnet sich die Unia seit einigen Jahren selbstbewusst als »grösste Migrantinnen- und Migrantenorganisation der Schweiz« und setzt sich als solche für die Aufenthaltssicherheit ihrer Mitglieder ohne Schweizer Pass ein.

So wird in der Abschlussresolution des von der Unia mitorganisierten »1. Kongress der Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund« im Februar des Jahres »die Regularisierung aller Sans-Papiers, die in der Schweiz leben« gefordert.

Dies sind nur zwei Beispiele wie Gewerkschaften weltweit neue Strategien und Methoden entwickeln, um MigrantInnen als Mitglieder zu gewinnen. Vor dem Hintergrund zunehmend transnationaler Belegschaften einerseits und anhaltenden Mitgliederverlusten andererseits werden auch österreichische Gewerkschaften an neuen Mitgliedergewinnungsstrategien nicht vorbeikommen. Dies wird auch eine Öffnung eigener Strukturen für neue gewerkschaftliche Ansätze nach sich ziehen. Wie die Geschichte zeigt, wird dies in Österreich nicht ohne Druck von engagierten KollegInnen innerhalb und ausserhalb der Gewerkschaft passieren. Aber auch linke AktivistInnen können viel von neuen »Organizing«-Ansätzen lernen, um gesellschaftliche Transformation konkret anzugehen.

Rainer Hackauf ist basisgewerkschaftlich und antirassistisch aktiv. Er ist Mitglied im Verband zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender (www.undok.at). Rainer blogt unter www.si-se-puede.at über Organisierungs- und Kampagnenarbeit.

Sandra Stern war in den vergangenen Jahren in verschiedenen Organizing-Kampagnen in den USA, Deutschland und Österreich aktiv. Aktuell arbeitet sie für die UNDOK-Anlaufstelle (www.undok.at) und hält Organizing-Seminare für BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen. Sandra blogt unter www.si-se-puede.at über Organisierungs- und Kampagnenarbeit.

Erstveröffentlichung auf »Mosaik – Politik neu zusammensetzen«.

Der Beitrag Gewerkschaft neu zusammensetzen erschien zuerst auf ¡Sí, se puede!.



Quelle: ¡Sí, se puede!

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