Sandra Stern und Rainer Hackauf: „Allein zu wissen, dass sie Rechte haben, macht die Leute um einen Zentimeter größer!“

Gespräch mit Sandra Stern und Rainer Hackauf, UNDOK Wien
Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender


TT: Wann und wie wurde Undok gegründet? Wer ist eure Zielgruppe und welche Angebote gibt es bei euch?

Sandra: Die Undok-Anlaufstelle wurde im Juni 2014 eröffnet und es gibt sie nun seit fast drei Jahren. Sie wurde von Aktivist*innen 2009 initiiert und dann von einem 2011 gegründeten Arbeitskreis „Undokumentiert Arbeiten“ aufgebaut. Dabei handelt es sich um ein sehr breites Netzwerk von Gewerkschaften, NGOs und Aktivist*innen aus verschiedenen antirassistischen Initiativen. Es war uns sehr wichtig, die arbeits- und sozialrechtliche Expertise mit der asyl- und fremdenrechtlichen Expertise zusammenzubringen, aber auch die unterschiedlichen Erfahrungen, Perspektiven und politischen Ansätze. Das gemeinsame Ziel stand dabei jedoch immer im Vordergrund, nämlich eine nachhaltige Unterstützungsstruktur zu schaffen für Menschen, die keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Ich denke, das ist uns auch gelungen. Heute bietet die UNDOK Anlaufstelle kostenlose, anonyme Information und Beratung für MigrantInnen ohne freien Arbeitsmarktzugang, die Probleme mit ihrem Arbeitgeber haben. Der UNDOK-Verband beschäftigt mittlerweile vier bezahlte Teilzeitstellen und wird durch viel ehrenamtliches Engagement unterstützt.

TT: Was war die Motivation, Undok zu gründen?

Rainer: Wir haben zuvor in einer Gruppe mit dem Namen PrekärCafé gearbeitet und beschlossen, gemeinsam ein Projekt zu starten, das real und längerfristig etwas bewirken kann. Wir haben Freunde in Deutschland und in der Schweiz, die ähnliche Arbeitskreise in und zusammen mit Gewerkschaften aufgezogen und Anlaufstellen für Migrant*innen eröffnet haben, die uns als Vorbild gedient haben. Zum anderen hat es Personen in unserem Freund*innenkreis gegeben, die selbst von Ausbeutung betroffen waren, weil sie keinen legalen Arbeitsmarktzugang gehabt haben, das war eine zusätzliche Motivation.

Wer ist eure Zielgruppe? Wie erfahren die Menschen von euch?

Sandra: Unsere Zielgruppen sind vor allem Drittstaatsangehörige, also Menschen von außerhalb der EU, die in der Regel einen beschränkten oder gar keinen Arbeitmarktzugang, aber auch Menschen aus Kroatien, die aufgrund der Übergangsfristen noch keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Unsere Beratungspraxis zeigt, dass viele Menschen nicht wissen, dass sie undokumentiert arbeiten, weil sie von ihrem Arbeitgeber falsch informiert werden und aufgrund der starken Abhängigkeit von diesem mehr oder weniger gezwungen sind, ohne Arbeitsgenehmigung arbeiten. Die Menschen erfahren von uns durch das breite Netzwerk, das wir von Anfang an waren.

Wir waren sehr überrascht über den Andrang, den es schon zu Beginn gegeben hat, da wir anfangs nur mit wenigen Fällen gerechnet haben. Wir sind davon überzeugt, dass uns vor allem das Netzwerk aus unterschiedlichen Vereinen geholfen hat, wo die Menschen schon vertraute Ansprechpersonen hatten. Wir haben inzwischen Informationsmaterial in sieben Sprachen, das durch diese leicht weitergegeben werden kann. Wir bieten aber nicht nur Beratung für Einzelfälle an, sondern machen auch aufsuchende Arbeit. Meine zwei Kolleg*innen beraten in den Sprachen Türkisch, Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Kurdisch, Russisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Wir gehen zu Vereinen und anderen Multiplikator*innen sowie zu Veranstaltungen, wo wir Beratungen oder Workshops anbieten. Das heißt, wir versuchen, die Hürden zu minimieren und Vertrauen aufzubauen, das Menschen brauchen, um sich Unterstützung zu suchen. Ich würde sagen, die eine Komponente ist das mehrsprachige Beratungs- und Unterstützungsangebot, die zweite ist die aufsuchende Arbeit, die dritte ist unser Netzwerk.

TT: Kommen die Leute zu euch, damit ihr ihnen helft, wenn sie Probleme haben, oder werden sie auch von sich aus aktiv?

Sandra: Zuerst möchte ich betonen, dass alle Menschen, die in Österreich arbeiten, dieselben Rechte haben. Unsere Erfahrung ist jedoch, dass das viele nicht wissen. Die allermeisten, die zu uns kommen, haben zwar gehört, dass sie sich an uns wenden können, wenn sie den vereinbarten Lohn nicht bekommen, wissen aber nicht, dass sie auch Anspruch auf einen kollektivvertraglichen Mindestlohn haben. Sie wissen nicht, dass es maximale Arbeitszeiten und Schutzstandards oder Pausenregelungen gibt, die auch auf undokumentiert Arbeitende zutreffen. Deshalb machen wir seit eineinhalb Jahren Trainingsworkshops für undokumentiert Arbeitende, wo wir ihnen vermitteln, dass auch sie Rechte haben.

Wobei Rechte zu haben nicht dasselbe bedeutet, wie Recht zu bekommen. Das heißt, Menschen, die zu uns kommen, müssen in jedem Fall selbst aktiv werden. Was wir als UNDOK tun können, hängt auch davon ab, in welcher aufenthaltsrechtlichen Situation sie sich befinden. Es gibt in Österreich 28 unterschiedliche Aufenthaltsbewilligungen, von denen der Großteil den Arbeitsmarktzugang beschränkt oder verwehrt. In manchen Situationen kann man ein aufenthaltsrechtliches Problem bekommen, wenn man sich gegen einen Arbeitgeber wehrt. Problematisch wird es, wenn Menschen illegalisiert in Österreich leben, zum Beispiel wenn das Visum abgelaufen ist. Dann ist es sehr schwierig, rechtliche Schritte zu gehen, weil das eine Abschiebung zur Folge haben kann. Das heißt, am Anfang muss die Situation abgeklärt werden, damit die Menschen verstehen, welches Risiko sie möglicherweise eingehen. Wir raten niemanden, etwas zu tun, was eine Gefahr mit sich bringen könnte. Wenn Leute Schritte gehen wollen, schreiben wir in der Regel zuerst einmal einen Brief an den Arbeitgeber und vermitteln sie an die für sie zuständige Gewerkschaft oder die AK, weil wir selber keine Rechtsvertretung anbieten können. Wenn Leute von der Gewerkschaft Rechtsschutz bekommen, müssen sie natürlich Mitglied werden.

TT: Wie hoch sind die Mitgliedsbeiträge?

Sandra: In der Regel ist es ein Prozent des Brutto-Lohns, wenn man arbeitslos ist oder studiert gibt es oft reduzierte Beiträge. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass die Leute schnell verstehen, welche Vorteile eine Mitgliedschaft für sie bringt.

TT: In welchen Branchen gibt es besonders viele ausbeuterische Arbeitsverhältnisse?

Rainer: Die Leute, die zu uns kommen, arbeiten in sehr unterschiedlichen Branchen, viele kommen aus dem Bausektor, die meisten arbeiten aber im Dienstleistungsbereich – vor allem in der Gastronomie, im Hotelbereich und in der Reinigung. Aus dem Baubereich kommen vor allem Männer, während in anderen Bereichen auch viele Frauen arbeiten.

Sandra: Zu uns kommen auch Paketzusteller, Leute die Zeitungen verkaufen, Werbematerial verteilen oder im Straßenverkauf tätig sind. Dann gibt es noch die Beschäftigten in privaten Haushalten – das ist ein frauendominierter Bereich – wo es jedoch sehr schwierig ist, an die Leute heranzukommen. Es handelt sich hier auch oft um EU-Bürger*innen, hinzu kommt die Problematik, dass Menschen, die in privaten Haushalten arbeiten, sehr abhängig und isoliert sind. Problematisch ist auch, dass man 24-Stunden-Betreuung in Österreich auf selbständiger Basis anbieten kann. Dabei handelt es sich unserer Meinung nach um legalisierte Scheinselbständigkeit.

TT: Paketzusteller zum Beispiel arbeiten ja auch oft als Selbständige. Können Selbständige dann überhaupt von der Gewerkschaft vertreten werden?

Sandra: Prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen bereits seit langer Zeit zu. Unternehmen sind sehr kreativ geworden, wenn es um Ausbeutungsmechanismen geht. Ob mit Leiharbeit, undokumentierter Arbeit, freien Dienstverträgen, Werkverträgen oder Scheinselbständigkeit – mit solchen Konstruktionen wird versucht, Arbeits- und Sozialrecht systematisch zu umgehen. Gerade Scheinselbständigkeit ist eine sehr häufige Arbeitgeberstrategie. In solchen Fällen muss nachgewiesen werden, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis und nicht um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Viele Betroffene wissen jedoch nicht über ihre Rechte Bescheid oder wagen diesen Schritt nicht, weil sie Angst haben, den Job zu verlieren. Gewerkschaften können diese ArbeitnehmerInnen sehr wohl vertreten. Oft gibt es jedoch keinen Kontakt zur Gewerkschaft, weil es in diesen Bereichen meist keine Betriebsräte gibt. Hier braucht es daher neue Formen der gewerkschaftlichen Organisierung, um diesen Entwicklungen etwas entgegensetzen zu können.

TT: Für Menschen, die noch auf Asyl warten, ist Selbständigkeit eine der wenigen Möglichkeit legal zu arbeiten. Ist es nicht die Gesetzgebung, die die Ausbeutung fördert?

Sandra: Genau. Ich würde auch sagen, dass die Gesetzgebung das Problem ist. Und das betrifft nicht nur Asylwerber*innen, weil es, wie ich erwähnt habe, 28 unterschiedliche Aufenthaltsbewilligungen gibt. Wir fordern als UNDOK schon seit längerem den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber*innen, weil wir sehen, dass die Zugangsbeschränkungen mitunter der Grund für die Ausbeutung sind und dass sie Lohn- und Sozialdumping fördern. Deshalb haben wir die Kampagne ZUGANG JETZT! gestartet, in der über 100 Vertreter*innen und Expert*innen aus NGOs, Gewerkschaften, Wissenschaft, politischen Parteien, Kirchen, Arbeitgeberverbänden sowie Betroffene selbst den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber*innen fordern. Denn letztlich fällt es allen Lohnabhängigen auf die Füße, wenn sich Unternehmen diejenigen Arbeitnehmer*innen holen, die leichter ausgebeutet werden können. Unternehmen sind sehr gut über Aufenthaltsrecht informiert und wissen, wer von Gelegenheitsjobs abhängig ist. Vor Kurzem hatten wir einen Fall, in dem ein Arbeitgeber gezielt zur Rückkehrberatung der Caritas gegangen ist, um dort Leute anzuwerben. Der Arbeitgeber wusste, dass er dort Menschen finden wird, die bald ausgewiesen werden und sich nicht gegen miese Arbeitsbedingungen wehren können.

Rainer: Für uns gibt es zwei Herausforderungen. In der Regel wollen die Leute keine Schritte unternehmen, solang sie noch arbeiten, aus Angst, denn Job zu verlieren. Sie kommen meist erst dann, wenn sie ihre Arbeit bereits verloren haben. Es ist aber möglich, Ansprüche auch im Nachhinein einzufordern. Wenn man rechtliche Schritte einleiten will, stellt sich oft das Problem, wie man nachweisen kann, wo, wie lange und wie viele Stunden jemand bei einem Arbeitgeber gearbeitet hat.

TT: Könnt ihr selbst Probleme bekommen, wenn ihr Leute unterstützt, die nicht legal in Österreich arbeiten dürfen?

Sandra: Wir sind so etwas wie eine Vermittlungsstelle zu den Gewerkschaften, von denen wir Rückhalt bekommen. Bisher gab es nur ein paar aufgebrachte Arbeitgeber, die bei uns vor der Türe gestanden sind. Die haben sich aber schnell damit abgefunden, dass wir ihre ehemaligen Mitarbeiter vertreten.

TT: Der Schutz des österreichischen Arbeitsmarktes gehört nach wie vor zu den Prinzipien des ÖGB. Wie sehen die Gewerkschaften, dass ihr Menschen ohne Arbeitsgenehmigung unterstützt?

Sandra: Österreichische Gewerkschaften haben lange versucht, durch ihre institutionellen Kanäle den Arbeitsmarkt zu regulieren. Sie waren aus ihrer Sicht dabei auch erfolgreich, und es ist ihnen gelungen, Verhandlungsmacht aufzubauen. Über das Ausländerbeschäftigungsgesetz hatten sie die Möglichkeit, über die Kontingente von Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen mitzubestimmen, die ins Land gelassen wurden. In den letzten 20 Jahren hat sich jedoch – Stichwort Neoliberalismus – die Krise des Kapitalismus verschärft, und die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen ist vorangeschritten. Mittlerweile realisieren Gewerkschaften, dass die bisherigen Strategien nicht mehr ausreichen, um Unternehmen Einhalt zu gebieten, die Lohn- und Sozialdumping betreiben.

Rainer: Ein einfaches wie banales Argument ist: Die Leute sind einfach hier, egal, ob man das nun gut findet oder nicht. Sie arbeiten hier und deshalb muss man sie unterstützen, wenn man Lohn- und Sozialdumping nicht fördern will. Ich denke, da findet zurzeit in den Gewerkschaften ein großes Umdenken statt. Die GPA hat letztes Jahr auf ihrem Bundeskongress eine relativ progressive Resolution verabschiedet und gefordert, legale Fluchtwege zu öffnen. Der ÖGB fordert inzwischen auch, dass der Arbeitsmarkt für Asylwerber*innen nach spätestens sechs Monaten geöffnet werden muss.

TT: Gibt es überhaupt genügend offene Arbeitsstellen?

Sandra: Im momentanen Diskurs hört man immer wieder, dass es nicht genügend Arbeitsstellen gebe. Das stimmt für manche Branchen aber überhaupt nicht. Es gibt Branchen, in denen Arbeitgeber gar keine Leute finden, die diese Arbeit machen können oder wollen. Es ist aber ein Faktum, dass es eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. Man muss sich fragen, warum die Arbeitslosenzahl gerade bei anerkannten Asylwerber*innen so hoch ist. Zuerst verbietet man den Leuten, zu arbeiten, und nach ein paar Jahren sind ihre Qualifikationen vielleicht nicht mehr viel wert. Dequalifizierung und Langzeitarbeitslosigkeit sind Resultate dieser falschen Politik. Aber heute werden sehr viele gesellschaftliche Probleme vereinfacht mit Migration erklärt. Dieses Thema könnten wir auch ganz anders diskutieren. Warum reden wir nicht über Arbeitszeitverkürzung? Warum diskutieren wir nicht darüber, wie viel uns welche Arbeit wert sind? Das Problem ist ja nicht, dass es zu wenig Arbeit gibt. Im Gegenteil. Wir sollten uns ansehen, wie viel Arbeit vor allem von Frauen unbezahlt geleistet wird. Wenn man diese Arbeit in Geld umwandeln würde, wäre die Summe höher als der gesamte Produktionsbereich. Wir müssten uns auch fragen, welche Arbeit wir als Gesellschaft überhaupt brauchen.

Rainer: Es wird oft davon geredet, dass auf dem Arbeitsmarkt Verdrängungsprozesse stattfinden. Das mag teilweise stimmen, teilweise stimmt es aber auch nicht, weil manche Branchen ohne Migrant*innen überhaupt nicht mehr funktionieren würden. Neben dem Baugewerbe, der Gastronomie und der Reinigung würde beispielsweise auch die Landwirtschaft stillstehen, wenn es keine Migrant*innen gäbe, die die Erntearbeit machen. Da stellt sich die Frage, ob Österreicher*innen diese Arbeit machen wollen. Ich glaube nicht, schon gar nicht zu den Bedingungen, wie heute dort bezahlt wird. Man müsste auch fragen, warum in manchen Branchen so schlecht bezahlt wird. Das sind eben jene Branchen, wo vor allem Frauen oder Migrant*innen beschäftigt sind. Von den Gewerkschaften kommt außerdem wieder die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche, man könnte auch über eine 30-Stunden-Woche nachdenken. Ich denke, das wären Ansätze, um die Arbeit besser zu verteilen und Arbeitsplätze zu schaffen.

TT: In Tirol gibt es ein Beispiel von Erntearbeiter*innen, die sich gewehrt haben. Könnt ihr uns darüber etwas erzählen?

Sandra: Menschen, die auf einem Bauernhof leben und arbeiten, sind schwer erreichbar. Deshalb hat die Produktionsgewerkschaft PRO-GE gemeinsam mit Aktivist*innen und NGOs eine Kampagne für Erntearbeiter*innen gestartet und Flyer für in den jeweiligen Sprachen (z.B. Ungarisch, Rumänisch, Ukrainisch …) herausgegeben. Damit ist man auf die Felder gegangen, um die Leute zu informieren. Mittlerweile sind schon einige Rechtsfälle unterstützt worden, wo es mitunter um hohe Nachzahlungen von ausständigen Löhnen und Zulagen ging. 2013 haben 70 serbische und rumänische Erntearbeiter*innen beim Schotthof, dem größten Gemüsebauern in Tirol, beschlossen, in den Streik zu treten, weil der Bauer trotz mehrmaliger Aufforderung über mehrere Jahre kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld bezahlt hat. Die Arbeiterkammer Tirol hat sie unterstützt und einen Vergleich ausgehandelt, durch den sie einen Teil ihrer Forderungen bekommen haben. Ein Großteil der Arbeiter*innen hat danach den Betrieb verlassen und ist wieder nach Serbien und Rumänien zurückgekehrt. Der Fall hat sich herumgesprochen und in Tirol einiges aufgemischt.

Rainer: Die Kampagne wird laufend weitergeführt, auch heuer sind wieder viele Feldaktionen in der Ernte- und auch bereits jetzt in der Anpflanzsaison geplant, um Erntearbeiter*innen über ihre Rechte zu informieren.

TT: Werden Unternehmen bestraft, wenn sie die Arbeiter*innen ausbeuten?

Sandra: Es gibt das Lohn- und Sozialdumping-Gesetz, das im wiederholten Fall empfindliche Strafen vorsieht. Im Fall des Schotthofs in Tirol etwa forderte die Gebietskrankenkassa vom Schotthof eine Strafe wegen Lohn- und Sozialdumping von 1,4 Millionen Euro. Wir machen jedoch auch die Erfahrung, dass Arbeitnehmer*innen mitunter auch selbst Probleme bekommen können. Denn viele Menschenwissen oft gar nicht, dass sie undokumentiert gearbeitet haben. Wenn das AMS jedoch erfährt, dass eine Person ohne Arbeitsgenehmigung gearbeitet hat, kann diese eine Jahressperre bekommen – das heißt, dass kein anderer Arbeitgeber für sie eine Beschäftigungsbewilligung bekommt. Das ist sehr problematisch, weil Arbeitssuchende in diesen Fällen beim AMS keine Parteienstellung haben und sich deshalb nicht wehren können.

TT: Undok bietet auch Workshops an, um die Menschen über ihre Rechte zu informieren …

Sandra: Viele Menschen wissen gar nicht, dass Arbeitsrechte in Österreich für ALLE gelten, und deshalb auch für Menschen ohne Papiere. Aber auch Arbeitgeber*innen streuen oft bewusst falsche Informationen. Zum Beispiel hören wir relativ häufig, dass den Leuten gesagt wird, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nur für Christen und Christinnen bestimmt ist. Die Leute glauben das auch manchmal. In den Workshops bieten wir vor allem Basisinformation an, wie: Du hast ein Recht auf einen Mindestlohn, es gibt maximale Arbeitszeiten, du hast das Recht, Pausen zu machen, dein Chef muss dich respektvoll behandeln, wenn du einen Arbeitsunfall hast, bist du versichert … Wir gehen oft in Deutschkurse, versuchen aber auch muttersprachliche Workshops zu organisieren, weil die erfahrungsgemäß noch besser ankommen. Wir haben den Eindruck: Allein zu wissen, dass sie Rechte haben, macht Menschen um einen Zentimeter größer! Wenn sie wissen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssen, erzählen sie es auch ihren Kollegen und Kolleginnen, und das ändert etwas in ihren Beziehungen zum Arbeitgeber und lässt die Leute selbstbewusster auftreten.

TT: Welche Bedeutung hat für euch der Erste Mai?

Sandra: Wir waren die letzten Jahre in Wien bei den Mai-Aufmärschen mit unterwegs, weil wir dort mit vielen Vereinen und Leuten aus der Gewerkschaft ins Gespräch kommen. Wir wollen aufzeigen, dass undokumentiert Arbeitende unsere Kolleg*innen sind und dass wir der Ausbeutung nur gemeinsam etwas entgegensetzen können.

Rainer: Unsere Initiative – das PrekärCafé – hat sich ursprünglich aus dem Ersten Mai heraus entwickelt, und zwar aus dem Euro-Mayday, den wir 2005 veranstaltet haben. Das war ein europaweiter Versuch, ein alternatives Erste-Mai-Programm zu organisieren, bei dem es darum ging, vor allem prekär arbeitende Menschen anzusprechen. Daraus ist das PrekärCafé entstanden und in weiterer Folge unsere Initiative. Deshalb denke ich, dass der Erste Mai noch immer ein wichtiger Tag ist, der eine große Symbolkraft hat. Die Frage ist, wie man ihn neu beleben kann – vom Ritual zu einem lebendigen Tag!

Veröffentlicht in Talktogether Nr. 60/2017

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