Erik Olin Wright: Warum Klasse zählt

Das nun bei Suhrkamp erschienene Buch, des 2019 verstorbenen Soziologen Erik Olin Wright, gibt auf rund 30 Seiten einen mehr als lesenswerten Einstieg in Wrights Klassenanalyse. Ergänzt wird dieser Essay, der erstmals unter dem Titel »Understanding Class« 2009 in der New Left Review erschienenen ist, um ein ausführliches Jacobin-Interview aus dem Jahr 2015 von Mike Beggs mit dem Autor, plus einem Nachwort von Oliver Nachtwey.

Wright unterscheidet drei Ebenen der Klassenanalyse. Klasse als „individuelle Attribute“, Klasse als “Chancenhortung” und Klasse als “Ausbeutung und Herrschaft”. Die erste Ebene sieht er etwa durch Geschlecht und vor allem Bildungsstand einer Person geprägt. Die zweite Ebene bezeichnet Wright, in Anschluss an Max Webers Klassenbegriff, als „Chancenhortung“ durch strukturelle (u.a. gesetzliche) Ausschlüsse. Im Zentrum steht hier der (Kampf um den gleichen) Zugang zum Arbeitsmarkt. Ausschlüsse durch Chancenhortung sollen hier etwa auch eine „Mittelklasse“ schützen, um deren priveligierte Position am Arbeitsmarkt zu verteidigen. Gewerkschaften verteidigen Chancenhortung mitunter, um einen gewissen Teil der Arbeiterklasse zu bevorzugen. Die dritte Ebene der Klassenanalyse würde Wright mit dem marxistischen Ansatz identifizieren. Bei der marxistischen Analyse stehen, Wright zufolge, „Herrschaft und Ausbeutung“ im Zentrum. Also die Stellung von Klassen im Produktionsprozess durch die ungleiche Verfügungsgewalt über Produktionsmittel. Laut Wright kann der Ansatz von Weber zwar Herrschaft fassen, aber – im Unterschied zum marxistischen Ansatz – nicht Ausbeutung, als Aneignung lebendiger Arbeit. Für Wright ist diese dritte Ebene der Analyse daher auch die sozialistische Dimansion von Klassenanlyse, die immer auch eine Überwindung der Ausbeutung und damit des Kapitalismus im Auge hat. Für Wright das zentrale Alleinstellungsmerkmal marxistischer Analyse, so wie er sie versteht. Wright betont, dass je nach Analysegegenstand eine der Analyseebenen mehr oder weniger erklären kann, diese sich aus einer wissenschaftlichen Sicht ergänzen und nicht ausschließen. Dies ist ihm als Vertreter eines analytischen Marxismus wichtig, da er den Marxismus nicht als eigenenständiges wissenschaftliches Paradigma ansieht, sondern als ein ergänzendes Werkzeug, um zu adäquaten Analysen von gesellschaftlichen Entwicklungen im Kapitalismus und dessen Überwindung zu kommen.

Das im Essay skizzierte Konzept einer Klassenanalyse ist sehr lesenswert, da es zudem auch aktuelle Debatte wie die um »Klassismus« oder auch den Ausschluss von Migrant_innen vom Arbeitsmarkt durch »Ausländerbeschäftigungsgesetze« oder Grenzregime fassen kann. Weitgehend ausgeblendet bleibt in dem einführenden Essay jedoch die Dimension geschlechtlicher Arbeitsteilung, wie generell auch der reproduktiven Sphäre von Klassenpolitik, die sich außerhalb von Lohnkämpfen etwa in Kämpfen um niedrige Mieten oder sozialer Infrastruktur äussert (vgl. dazu die einführende Einleitung von Mario Candeias im Buch »Klassenanalyse« aus dem Jahr 2021). Dies mag wohl auch der Kürze des Essays geschuldet sein, der eine Zusammenfassung seiner jahrzentelangen Arbeit zum Thema darstellt.

In dem im Buch ergänzend vorliegenden Interview geht Wright dann auf den von ihm mit geprägten Ansatz des analytischen Marxismus, wie auch auf die von ihm entwickelte Klassenanalyse ein. Nach einer kurzen Skizze einer sozialistischen Wirtschaft, dreht sich das Interview auch um eines von Wrights letzten Büchern, »Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus« aus dem Jahr 2017, zu aktuellen wie auch historischen Strategien der sozialistischen Transformation. Deren unterscheidet er vier unterschiedliche Strategien. In Ablehnung der revolutionär-staatsorientierten und einer eskapistischen Strategie argumentiert in der Folge für eine Kombination aus reformerisch-staatsorientierter Strategie in Wechselwirkung mit der Strategie, die er „Aushöhlung des Kapitalismus” von unten bezeichnet. Nachtwey meint dazu im Nachwort, Wright habe eine Klassenanalyse ohne Utopien entwickelt und über Utopien ohne Klassenanalyse geschrieben. Nun gälte es die von ihm hinterlassene Lücke zu schließen, um dies zu verbinden. Das vorliegende Buch ist eine Voraussetzung dafür.

Link: Erik Olin Wright: Warum Klasse zählt, Suhrkamp, 2023

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