Österreich hat gewählt, am 29. September fanden Nationalratswahlen statt. Das Ergebnis wurde in den Medien als Erdbeben (Die Presse) oder gar Zeitenwende (Falter) bezeichnet, da die FPÖ erstmals bei Wahlen stimmenstärkste Partei werden konnte. Bei genauerem Hinsehen bestätigt sich diese Einschätzung jedoch nicht. Der rechte Block aus faschistischer FPÖ (28,8% bzw. +12,7%) und konservativer ÖVP (26,3% bzw. -11,2%) konnte eine rechte Mehrheit von 55,1% (+1,4%) leicht ausbauen. Große Verschiebungen gab es daher vor allem innerhalb des rechten Blocks.
Die beiden liberalen Parteien NEOS (+1,1%) und Grüne (-5,6%) haben wieder einmal bewiesen, dass sie kein Rezept gegen die extreme Rechte haben, sondern vor allem auf moralische Empörung und Warnungen setzen. Die Sozialdemokratie hat – unter einem ehemals marxistischen Parteichef – einen engagierten Wahlkampf geführt, konnte aber ihr desaströses Ergebnis bei der letzten Wahl lediglich halten (21,1%) und wurde somit zum ersten Mal nur mehr drittstärkste Kraft. Die „linke Erneuerung“ der SPÖ scheint damit vorerst gestoppt. Neue Parteien konnten nicht in den Nationalrat einziehen, da sie die 4%-Hürde nicht übersprungen haben. Besonders auffällig ist der stärker werdende Stadt-Land-Unterschied im Wahlverhalten.
Bereinigtes Ergebnis inklusive Nicht-Wähler:innen (gerundet)
Amtliches Ergebnis (16.10.) | Inklusive Nichtwähler:innen | Mandate | |
ÖVP | 26,3 | 20,2 | 51 |
SPÖ | 21,1 | 16,3 | 41 |
FPÖ | 28,8 | 22,2 | 57 |
Die Grünen | 8,2 | 6,3 | 16 |
NEOS | 9,1 | 7, | 18 |
Bierpartei | 2,0 | 1,6 | |
MFG | 0,4 | 0,3 | |
Die Gelben | 0,0 | 0,00 | |
Liste Madeleine Petrovic | 0,6 | 0,5 | |
Liste Gaza | 0,4 | 0,4 | |
KPÖ | 2,4 | 1,8 | |
Keine von denen (Der Wandel) | 0,6 | 0,4 | |
Ungültig | 0,7 | ||
Nichtwähler:innen | 23,1 |
Quelle: BMI – Endgültiges Wahlergebnis der Nationalratswahlen 2024
Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zur Wahl 2019 um 2,2% auf 77,3 %. Nichtwähler:innen blieben trotz gestiegener Wahlbeteiligung mit 1.463.171 Wahlberechtigten die größte Gruppe. 46.857 Stimmen waren ungültig.
Die gesamten Wahlberechtigten sanken im gleichen Zeitraum jedoch um rund 50.000 Personen auf 6.346.059, wiewohl die Bevölkerung Österreichs in den letzten fünf Jahren angestiegen ist (zuletzt +125.843 Personen im Jahr 2023). Das bedeutet umgekehrt, dass der Anteil der Menschen, die in Österreich aufgrund des Wahlsystems aufgrund der fehlenden österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wählen dürfen, weiter deutlich gestiegen ist.
Wählerströme vom 29.9.2024 nach Foresight-Institut:

Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)
Die FPÖ konnte erstmals mit 28,8% (1.408.512 Stimmen / 57 Mandate) wie prognostiziert stimmenstärkste Partei werden und damit ihr bisheriges Rekordergebnis von 1999 (26,9%) übertreffen. Gemeinsam konnte damit eine rechte Mehrheit aus FPÖ und ÖVP leicht ausgebaut werden.
Der Wahlkampf der FPÖ war vordergründig weniger aggressiv als in der Vergangenheit, die Wahlkampfbotschaften auf den Plakaten (“Euer Wille geschehe”; “5 gute Jahre”) positiv gehalten. Herbert Kickl setzte vor allem auf seine eigenen Veranstaltungen und Medien. Bei einigen Fernsehdiskussionen nahm er erst gar nicht teil. Das Programm der FPÖ war augenfällig wirtschaftsliberal formuliert, um die klare Orientierung auf eine Koalition mit der ÖVP zu kommunizieren und den Preis, sich nach den Wahlen dagegen zu entscheiden, in der ÖVP möglichst hochzutreiben.
Neben ÖVP-Wähler:innen (443.000) konnte die FPÖ auch Nicht-Wähler:innen (258.000) mobilisieren. Der Austausch von Wähler:innen mit der SPÖ dürfte hingegen abgeschlossen sein. In einem gewissen Segment der wahlberechtigten Arbeiterklasse mit hoher “Arbeiterklassenidentität” wie auch niedriger “sozialer Selbstverortung” (vgl. Westheuser/Lux 2024) konnte sich die FPÖ verfestigen. Erstmals konnte die FPÖ bei weiblichen Wählerinnen aufholen und ein ausgeglichenes Resultat erzielen, worauf Herbert Kickle schon im Vorlauf der Wahlen bei der Zusammenstellung seiner Liste besonders Augenmerk hatte. Das bedeutet auch, dass im FPÖ-Parlamentsklub diesmal wohl auch deutlich mehr Frauen als bisher vertreten sein werden.
Motive die FPÖ zu wählen sind neben der mit der Partei verbundenen “Migrationsfrage” wohl auch generell ein Schub in Folge der autoritären Krisenbearbeitungen der letzten Jahre. Speziell in der Pandemie konnte sich die FPÖ als Anti-System-Partei etablieren, die für ein Einstehen für die Freiheit der Bürger:innen steht. Vor allem die Einführung einer gesetzlichen Pflichtimpfung, wie auch die Umsetzung der Lockdowns hat für großen gesellschaftlichen Widerstand gesorgt, den die FPÖ und vor allem ihr Frontmann Herbert Kickl ansprechen konnte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Pandemie von Menschen in der Produktion (“Arbeiterklassenidentität”) und im Tschocherl (“Unten-Verortung”) anders erlebt wurde als etwa von Menschen, die ins Home-Office geschickt wurden und die Deutungshoheit über die Erfahrungen in und aus der Pandemie dominieren. Dies wird auch von entsprechenden Studien des SORA-Instituts nahegelegt.
Bei einigen Wählergruppen ist die FPÖ weiterhin unterdurchschnittlich schwach, wenngleich sie hier im Wahljahr 2024 einen großen Sprung nach vorne machen konnte, wie etwa am Beispiel der +11% mehr Stimmen bei Akademiker:innen (15%) zeigt. Auch das hat zum schlussendlich starken Abschneiden der FPÖ beigetragen.
Insgesamt muss man feststellen, dass sich die FPÖ unter Herbert Kickl zu einer immer offener faschistischen Partei (Bewegungselement, wirtschaftsliberales Programm, Bündnis mit einem Teil der Arbeiterschaft) entwickelt hat. Die Wahlkampfparty der FPÖ dafür ist symptomatisch, wo Herbert Kickl keine Scheu hatte, sich mit Mitgliedern der Identitären abbilden zu lassen. Diese Radikalisierung wird in den nächsten Jahren wohl fortgesetzt werden. Durch das Abschneiden bei der Wahl kann die FPÖ nun auch auf weit mehr finanzielle Ressourcen (in Form von Parteienförderung, bezahlte Mitarbeiter, wie auch den Bildungsverein der FPÖ) zurückgreifen.
Was tun gegen die FPÖ? Hier geht es weiter zum Thema: Schon wieder Donnerstag – 9 Thesen zum Kampf gegen Rechts
Karl Nehammer – Die Volkspartei (ÖVP)
Die ÖVP (Liste “Karl Nehammer – Die Volkspartei”) konnte mit 26,3% (1.282.734 Stimmen / 51 Mandate) zweitstärkste Partei bleiben, wenngleich sie mit -11,2% einen Rekordverlust hinnehmen musste. Nachdem die ÖVP in Meinungsumfragen aber vor ein paar Monaten noch an dritter Stelle lag, kann sie dieses Ergebnis als Erfolg verbuchen, ist eine Regierungsbildung ohne ÖVP zudem undenkbar.
Der Wahlkampf der ÖVP versuchte, die erfolgreiche Bewältigung der Krisen der letzten Jahre zu kommunizieren und in der Migrationsfrage wie auch in der Klimafrage einen deutlichen Schritt weit nach rechts zu gehen. Das war nur bedingt erfolgreich, da die autoritäre Krisenbewältigung zu Gunsten von Unternehmern von vielen Menschen in den letzten Jahren anders erlebt wurde, die FPÖ zudem glaubhafter für eine dezidierte Anti-Migrationspolitik steht, als die ÖVP. Zudem konnte der Spitzenkandidat Karl Nehammer auch durch sein Auftreten in der Flutkatastrophe die mangelnde Sympathien nicht wettmachen (Stichwort “arme Kinder sollen Burger essen”). Nicht vergessen wurde von vielen ehemaligen Wähler:innen der ÖVP sicher auch die Einführung der Pflichtimpfung in Zuge der Pandemie aus wirtschaftspolitischen Interessen (Stichwort Seilbahnindustrie & Wintertourismus) zulasten einer solidarischen Gesundheitspolitik.
Ganze 443.000 Wähler:innen wanderten von der ÖVP zur FPÖ, wo sie damit knapp ein Drittel aller Wähler:innen ausmachen. Es hat bei diesen Wahlen also einen massiven Wähler:innenaustausch innerhalb des rechten Lagers gegeben. Die Wahlumfragen legen nahe, dass diese Wähler:innenaustausch noch nicht abgeschlossen ist, die ÖVP durchaus auch noch ein Potenzial von mindestens 6% an Wähler:innen hat, die zur FPÖ wechseln könnten.
Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ)
Die SPÖ konnte mit 21% (1.032.233 Stimmen / 41 Mandate) ihr Ergebnis von der letzten Wahl in Prozent halten, wenngleich es ein kleines Plus bei den absoluten Stimmen gab.
Im Wahlkampf setzte Babler auf eine Aktivierung seiner Mitgliederbasis wie auch auf explizit linke Themen, wie vermögensbezogene Steuern und auch Arbeitszeitverkürzung. Dabei stellte er einen Interessenskonflikt zwischen Kapital und Arbeit in den Mittelpunkt seiner Rhetorik, zudem versuchte er Warnungen vor der Klimakrise auch ein neues Themenfeld für die SPÖ zu erschließen. Dies dürfte durchaus auch funktioniert haben, gerade in den Großstädten konnte die SPÖ (die auch die KPÖ) damit “kulturelle Expert:innen”, also Wähler:innen mit einem hohen “Arbeiterklasseninteresse” (vgl. Westheuser/Lux 2024), von den Grünen gewinnen. Am Land und in den kleineren Städten (auch in alten Industrieregionen) verlor die SPÖ hingegen.
Vieles von dem, was Babler im Wahlkampf vertrat, steht im Gegensatz zur realen Verfassung in der SPÖ, die weithin bekannt ist. Stichwort Schrebergartenaffäre, Lobauautobahn oder Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf. Deutlich haben das auch Querschüsse der Listenzweiten Doris Bures im Wahlkampf gemacht, die das eigene Wahlprogramm als “nicht ernstzunehmen” bezeichnete. In einzelnen Bezirksorganisationen wurde zudem von Funktionär:innen gegen eine Wahl der eigenen Partei mobilisiert, um Babler zu schwächen, nach dem Motto: “Wenn Babler verliert, ist das gut für die SPÖ in Wien, denn dann gewinnen wir bei der Wienwahl 2025.” Von Medien wurde das natürlich gerne aufgegriffen und gegen die SPÖ gewendet. Viele der Babler-Anhänger:innen sprachen daher schon vor den Wahlen davon, dass Babler “runtergeschrieben” würde. Das mag natürlich sein, kann aber bei der Besitzstruktur der österreichischen Medien wie auch dem eingeübten Klassenbewusstsein vieler Journalist:innen nicht überraschen. Die KPÖ kann von diesem Umgang durch Medien ein Lied singen – nun hat es auch die SPÖ (wieder einmal) erwischt, wenngleich die SPÖ dies durch Inseraten-Korruption zumindest in Wien (noch) kompensieren kann, die Gemeinderatswahlen stehen hier vor der Tür.
Das Ergebnis wird daher zu wenig sein, um den linken Reformkurs in der SPÖ unter Babler fortzuführen, hat dieser doch keine Landesorganisationen hinter sich, die das enttäuschende Ergebnis ausgleichen könnten. Bestimmend sind aber die Wienwahlen im kommenden Jahr und die Wiener Landesorganisation. Der Wiener Bürgermeister wie auch die Gewerkschaften haben Babler Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP nahegelegt und damit auch eine Aufgabe seiner Forderungen nach einer Reichen- bzw. Erbschaftssteuer. Das Experiment Babler kann damit als gescheitert betrachtet werden. Auch der als links geltende Babler-Wegbereiter Nikolaus Kowall konnte nicht annähernd jene Anzahl an Vorzugsstimmen erreichen, die er gebraucht hätte, um in den Nationalrat einzuziehen. Aus den Erfahrungen von Jeremy Corbyn hätte man eigentlich lernen können, wie man es nicht macht. Gelernt wurde jedoch nicht viel.
NEOS
Die NEOS konnten mit 9,1% (446.379 / 18 Mandate) und damit +1% der Stimmen erreichen. Vor dem Hintergrund der riesigen Verluste der ÖVP wie auch die Verluste der Grünen sicher ein eher ernüchterndes Ergebnis für die NEOS. Von ÖVP, Grünen und Nicht-Wähler:innen konnte man in etwa in gleichen Teilen dazugewinnen. Die Gewinne blieben aber überschaubar.
Ein Gutteil der dazugewonnen Stimmen geht wohl auf das Konto der rhetorisch starken wie auch sympathischen Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger. Der Wahlkampf der NEOS war darüber hinaus vor allem von einem großen Wunsch nach zukünftiger Regierungsbeteiligung – und damit einer Anbiederung an die ÖVP (wirtschaftspolitisch) und mit Abstrichen SPÖ (gesellschaftspolitisch) – geprägt. Inhaltlich sorgten die NEOS für keine Überraschung sondern positionierten sich im Wahlkampf gegen Reichen- und sonstige Steuern, gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ und für die Abschaffung der Neutralität durch einen NATO-Beitritt Österreichs.
Für Unterhaltung sorgte in Finale des Wahlkampfes der Parteigründer Matthias Strolz. Dieser brachte sich zunächst eigeninitiativ als zukünftiger Bildungsminister ins Spiel um dann wenige Tage vor der Wahl pressewirksam aus den NEOS auszutreten, da er es nun geschafft hätte, „vom Ego zum Selbst zu reifen, zur eigenen Personmitte vorzustoßen“.
Die Grünen
Die Grünen kamen auf 8,2% (402.109; 16 Mandate) der Stimmen und damit auf -5,7%. Ein klares Ergebnis der Regierungsbeteiligung der letzten 5 Jahre. Besonders viele ehemalige Grün-Wähler:innen (148.000) wählten diesmal SPÖ und konnten diese damit vor groben Verlusten retten. Auch NEOS, ÖVP und KPÖ konnten ehemalige Grünwähler:innen ansprechen.
Die “grüne Handschrift”, die uns noch zu Beginn der Regierungsbeteiligung verkauft wurde, war in den letzten Jahren nicht sichtbar. Das Kernstück der Grünen Regierungsbeteiligung – ein Klimaschutzgesetz – wurde erst gar nicht verhandelt. Zugutehalten kann man den Grünen die Einführung des Klimatickets und die Zustimmung Eleonore Gewesslers zur Renaturierungsverordnung, auch die Aufstockung von Mitteln für Wohnungslose (Housing-First) und andere vergleichsweise kleinere Verbesserungen gehen auf das Konto der Grünen. Demgegenüber stehen eine verfehlte Pandemiepolitik (personifiziert durch drei Kurzzeit-Gesundheitsminister und deren willkürliche Verordnungen in enger Abstimmung mit ÖVP-Unternehmerverbänden) auf Kosten vieler arbeitender Familien mit Kindern. Dies alles zugunsten einer Umverteilung hin zu Unternehmen und Reichen – analog zur Politik in der darauffolgenden Teuerungskrise.
Gesellschaftspolitisch haben sich Die Grünen nicht nur durch ihre Regierungsbeteiligung von vielen ihrer Gründungswerte verabschiedet – viele Wähler:innen werden die implizite Zustimmung als Regierungspartei zur Abschiebung von Kindern nicht vergessen haben –, sondern auch in Folge von Ukraine-Krieg wie auch dem Krieg in Gaza. Wenngleich Die Grünen aus opportunistischen Gründen zwar in Österreich keinen NATO-Beitritt befürworten, haben sie bewiesen, dass sie sich von ihren friedenspolitischen Anfängen verabschiedet haben und nun auf Seiten einer Kriegslogik stehen. Dies bedeutet, die Militarisierung der EU zu unterstützen wie auch solidarisch an der Seite der rechtsextremen Netanjahu-Regierung zu stehen.
Das Versagen in klimapolitischen Belangen hatte wohl auch Auswirkungen auf Jungwähler:innen, bei denen Die Grünen große Einbrüche hatten. Und das, obwohl sie mit ihrer Spitzenkandidatin Lena Schilling noch bei den EU-Wahlen gezielt auf diese Zielgruppe gesetzt haben. Tragisch aus Sicht der Grünen ist überdies, dass sie trotz der Aufgabe fast aller ihrer Werte und Anpassung an die ÖVP für eben diese wohl nicht mehr als Koalitionspartner infrage kommen und daher auf absehbarer Zeit, wohl keiner Bundesregierung mehr angehören werden.
Kommunistische Partei Österreichs – KPÖ Plus
Aus Sicht der KPÖ ist das Ergebnis durchwachsen. Zwar konnte das beste Ergebnis seit 1962 erreicht und die Stimmen fast vervierfacht werden. Trotzdem sahen die letzten Umfragen die KPÖ bei 3 bis 4% und damit an der Schwelle zum Einzug ins Parlament. Mit 2,4% (+83.378 bzw. +1,7 %) lag die KPÖ unter den Erwartungen, auch wenn das Überspringen der 4%-Hürde eine große Sensation gewesen wäre. 29.000 Stimmen kamen diesmal von Nicht-Wähler:innen, 32.000 Stimmen von Grünen, immerhin 20.000 Stimmen von der ÖVP – vergleichsweise wenig Austausch gab es mit der SPÖ. Ein Grundmandat in Graz-Umgebung (4,7% statt notwendiger 11%) wurde klar verfehlt, wie auch augenfällig ist, dass die KPÖ in Graz ihre guten Gemeindeergebnisse nicht auf die Nationalratswahlen umsetzen konnte.
Bei einer genaueren Analyse der Zahlen liegt überdies nahe, dass es durchaus ein gleiches Wählerpotenzial an Proteststimmen mit der Bier-Partei und der Liste Gaza gibt. Da, wo die KPÖ schwache Strukturen hat, konnten die beiden Parteien punkten. Eine gewisse Überschneidung bei den Wähler:innen gibt es thematisch wohl auch mit der Liste Wandel.
Besonders ins Auge sticht die mangelnde Bindung der Wähler:innen an die KPÖ. So konnte die KPÖ nur knapp die Hälfte (16.000) der Wähler:innen von den letzten Nationalratswahl halten – ein Phänomen, dass die KPÖ wiederholt bei bundesweiten Wahlen begleitet. Die Bindung zu den Wähler:innen scheint also schwach zu sein.
Ein Teil des Ergebnisses ist im Vergleich etwa zur EU-Wahl (rund 100.000 bei 3%) im Juni des Jahres mit der höheren Wahlbeteiligung im September erklärbar. Wenngleich der Wahlkampf der KPÖ mit geringen Ressourcen geführt wurde – die finanziellen Mittel weit von Grünen oder NEOS entfernt sind – waren Budget wie auch Einsatz von Aktiven und Medienpräsenz in diesem Wahlkampf doch deutlich höher als in den letzten Jahrzehnten. Dies gibt Hoffnung für die zukünftige Entwicklung der Partei, wie auch die Tatsache, dass es erstmals kaum ein Dorf in Österreich gibt, indem es nicht auch KPÖ-Stimmen gibt. Das erklärt vielleicht auch den Stimmenzuwachs durch vormalige ÖVP-Wähler:innen.
Vorzugstimmen
Am Bundeswahlvorschlag konnte Tobias Schweiger 1937 (Listenplatz 1) Vorzugsstimmen erreichen, gefolgt von Anna Svec (Listenplatz 5, LINKS) mit 1327 Stimmen und Bettina Prochaska (Listenplatz 2) mit 765 Stimmen. Auf der Landesliste Wien konnte Angelika Adensamer (Listenplatz 2, LINKS) 1130 Vorzugsstimmen erreichen, danach kommt Claudia Krieglsteiner (Listenplatz 1, Landesliste) mit 485 Stimmen, gefolgt von Alisa Vengerova (430) und Elena Ellmayr (121) – die letzteren beiden wohl gestützt durch den Jugendwahlkampf.
Interessant ist diese Ergebnis auch im Vergleich zu den EU-Wahlen, wo KPÖ-Spitzenkandidat Hopfgartner 6.989 Vorzugstimmen erreichen konnte, gefolgt von der Listenletzten Elke Kahr mit 2.222 Stimmen. Dies ist nur teilweise damit erklärbar, dass der Wahlkampf hier fast ausschließlich auf eine Person fokussiert war.
Einige Schlussfolgerungen
Insgesamt muss die Frage gestellt werden, ob der – sehr konventionell geführte – Wahlkampf der KPÖ auf die richtigen Themen, die richtige Zuspitzung eben dieser und auch entsprechende Mitmach-Angebote gesetzt hat? Dies betrifft speziell auch den Jugendwahlkampf der KPÖ, durch den die KPÖ mit 5% zwar überdurchschnittlich viele Jungwähler:innen ansprechen konnte, der aber mit einem hohen Mitteleinsatz nach dem EU-Wahlkampf doch hinter den Erwartungen blieb. Vielleicht beschäftigt der Krieg in Gaza oder die Klimakrise junge Menschen doch mehr als das Thema Wohnen?
Der von der Parteileitung eingeleitete Weg des Parteiaufbaus und damit auch der Weg interne Zerwürfnisse zu überwinden, hat sich bezahlt gemacht. Er muss durch den Aufbau neuer Landes- und Grundorganisationen – gerade auch jenseits von Wahlen – konsequent weitergegangen werden. Zudem hat das Wahlergebnis gezeigt, dass es für uns neue Ansätze braucht, wie wir als KPÖ auch in Betrieben wieder Fuß fassen können – etwa durch KPÖ-Betriebsgruppen oder auch berufsbezogene Arbeitskreise – statt dieses Feld anderen Organisationen zu überlassen. Dieser Parteiaufbau darf nicht einer Wahllogik folgen, wird sich bei Wahlen aber weiter positiv auswirken.
Ausblick Wien
Nächstes Jahr wird zudem in Wien, der größten Stadt Österreichs, gewählt. Das Wahlergebnis gibt Hoffnung, dass in Wien ein gutes Ergebnis erzielt werden kann und die 5%-Hürde in den Gemeinderat übersprungen werden kann. Bezieht man die Wahlbeteiligung in Wien ein, lag das KPÖ-Nationalratsergebnis in etwa bei dem der EU-Wahlen vom Juni (Beispiel Wien-Liesing). Zudem konnten in Wien auch viele neue Aktive gewonnen werden, in allen Grundorganisationen gab es auch dadurch einen deutlichen Aktivitätsschub.
Wie die Kooperation mit LINKS in Zahlen ausgewertet werden kann, ist im Detail schwer zu sagen. Es ist eher davon auszugehen, dass LINKS in Wien Stimmen gebracht hat, zumindest wenn man davon ausgeht, dass die zehntausenden Flyer, die in Wien verteilt wurden, nicht umsonst waren. An den Vorzugsstimmen ist zumindest abzulesen, dass LINKS hier starke Ergebnisse erzielen konnte – wenngleich sich die Vorzugsstimmen hier stärker auf zwei Person bündeln. Dieses Ergebnis legt nahe, dass LINKS eine relevante Wähler:innengruppe ansprechen und an sich binden kann.
Weitere Kleinparteien
Bundesweit ebenfalls angetreten bei den Wahlen sind Bierpartei, Liste Madeleine Petrovic und “Keine von denen” (Der Wandel). In einigen Bundesländern auch etwa die Liste Gaza.
Der Bierpartei wurden im Vorfeld der Wahlen große Chancen vorausgesagt, in den Nationalrat einzuziehen. Teilweise sahen Umfragen die Partei noch ein paar Monate vor den Wahlen in einem zweistelligen Prozentbereich. Umso härter war der Fall seit Juni des Jahres für den Parteigründer und – bis dahin – gehypten Frontmann Dominik Wlazny. Der Familienunternehmer präsentierte sich als zunehmend autoritäre Führungsfigur – ohne bekannte Köpfe neben sich, ohne Programm, sich Interviews verweigernd und bei den spärlichen Auftritten im Wahlkampf inhaltlich schwimmend. Mangelnde Authentizität, der immergleiche Schmäh, schlechtes Bier wie auch die langweilige Musik aus dem Hause Wlazny konnten das nicht wettmachen. Bei den Gemeinderatswahlen in Wien könnte es nächstes Jahr trotzdem für einen Einzug in den Gemeinderat reichen – Wlazny hat deswegen auch angekündigt, “weitermachen” zu wollen.
Außerparlamentarische Opposition
Begonnen hat das Wahljahr mit großen Mobilisierungen in Deutschland und etwas zeitversetzt auch in Österreich gegen Rechts unter dem Motto “Demokratie schützen”. Vor der Nationalratswahl tauschten dieses Jahr sehr viele von Unternehmern initiierte oder aus der Zivilgesellschaft kommende Initiativen “gegen Rechts” auf, die speziell vor der FPÖ – mitunter aber auch vor Extremist:innen von links (gemeint KPÖ) – warnten. Viele dieser Initiativen haben FPÖ Wähler:innen sicher dazu bestärkt FPÖ zu wählen, da diesen Initiativen das moralische Befremden vor den “unteren Schichten” eingeschrieben war.
Einen anderen Weg ist die aus der Klimabewegung entstandene Initiative “Wir gegen Rechts” gegangen, die bewusst Haustürgespräche und soziale Themen in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt hat. In den Materialien wurde nicht alleine vor der FPÖ gewarnt, sondern gleichermaßen auch vor der ÖVP und deren Wirtschaftspolitik auf Kosten der breiten Bevölkerung. Mehr oder weniger direkt wurde die Wahl von KPÖ oder SPÖ empfohlen. Aus einem sich überschneidenden Spektrum wurde auch erste Aufrufe für eine neue Do! Demo gestartet, deren Auftakt mit an die 20.000 Teilnehmer:innen doch überraschend stark war.
Ebenfalls für die KPÖ zur Wahl aufgerufen haben erstmals eine Handvoll Gruppen aus dem trotzkistischen Spektrum: ISA (vormals SLP), Linkswende und auch kurz vor der Wahl Teile des Funken (der auf Anweisung seiner Zentrale in London in Österreich eine konkurrierende kommunistische Partei gründen muss und daher den Ausschluss aus der SPÖ mit größtmöglichem Medienecho eingeplant hat).
Ausblick
Vor den Wahlen wollten es nur kaum wer aussprechen (Meinl-Reisinger war hier die Ausnahme), aber Österreich steht ein massives Kürzungsprogramm bevor. Das ist Ergebnis der Krisenbearbeitung der schwarz-grünen Bundesregierung in den vergangenen fünf Jahren auf Kosten der breiten Bevölkerung zugunsten von Unternehmern und Standort, aber auch des Aufrüstungsprogramms unter grüner Beteiligung. Die Budgetsituation ist aber natürlich auch Ergebnis der verfehlten Finanzpolitik der ÖVP (die nicht nur von den Grünen, sondern auch FPÖ und vor allem SPÖ in der Vergangenheit maßgeblich mitgetragen wurde) in den vergangenen Jahrzehnten (Senkung der Körperschaftssteuer für Unternehmen; konsequentes Eintreten gegen bzw. Abschaffung von Reichen- wie auch Erbschaftssteuern) und den auf Privatisierungen angelegten Maastricht-Kriterien der EU (öffentliche Defizit darf nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen; öffentlicher Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen).
Die anstehenden Koalitionsverhandlungen werden schwierig und werden jedenfalls vor der Wahl in der Steiermark zu keinem Ergebnis führen. Braucht es doch aufgrund der Wahlergebnisse (ÖVP und SPÖ haben gemeinsam ein Mandat Überhang, müssen aber auch beide Nationalratspräsident:innen stellen, die als Sitzungsleiter:innen teilweise bei Abstimmungen nicht mitstimmen) realistisch eine Drei-Parteien-Koalition von ÖVP-SPÖ-NEOS als Alternative zu Blauschwarz. SPÖ-Chef Babler wurde schon von Bürgermeister Ludwig und den Gewerkschaftern in der SPÖ in Verhandlungen gedrängt und wird massive Zugeständnisse in Hinblick auf seine eigenen Ansprüche machen müssen. Dass ÖVP und NEOS Babler das Gesicht wahren lassen – etwa mit der Umsetzung einer minimalen oder temporäre Variante einer Erbschafts- oder Reichensteuer – scheint erst einmal wenig realistisch. Die angespannte Budgetsituation macht diese Option aber nicht ganz unmöglich, wie gerade in Frankreich unter dem neuen, konservativen Premierminister zu beobachten ist.
Mit der Länge der Verhandlungen wird die Option Blau-Schwarz – die aufgrund der klaren Absage von Karl Nehammer (nicht mit Herbert Kickl zu regieren) zurzeit nicht realistisch erscheint – aber wieder an Momentum gewinnen, sind die Überschneidungen von ÖVP und FPÖ doch sehr groß. Aus der Industriellenvereinigung gibt es auch schon erste wichtige Stimmen, die sich für diese Koalitionsvariante aussprechen. In dem Fall ist es wohl realistischer, dass Nehammer in seiner Partei als Frontmann ausgetauscht wird, als das Herbert Kickl in die zweite Reihe zurücktritt, wie einst Jörg Haider.
Darüber hinaus stehen eine Reihe von Wahlen an. Vorletztes Wochenende wurde der Landtag in Vorarlberg gewählt, wo die KPÖ erstmals seit langer Zeit überhaupt wieder am Stimmzettel stand. Ein Einzug war nicht realistisch, der Antritt als Basis für die Gemeinderatswahlen im kommenden Jahr in Vorarlberg aber umso wichtiger. Bei den Landtagswahlen in der Steiermark will die KPÖ ihre Stimmen ausbauen und ihre Sitze im Landtag verteidigen. Die FPÖ wird auch in der Steiermark wohl stimmenstärkste Partei werden.
Die vielleicht wichtigste Wahl steht (regulär) kommenden Herbst an, wenn in Wien gewählt wird. In der zwei Millionen Einwohner:innenstadt geht es diesmal um viel. Die SPÖ wird – wie schon gewohnt – den Kampf um das rote Bollwerk Wien gegen die FPÖ ausrufen und die FPÖ in ein vermeintliches Bürgermeisterrennen einsteigen. Für alle übrigen Parteien wird es daher schwierig. Die Ausgangsbasis im Wahljahr 2024 bedeutet aber auch, dass die KPÖ gute Grundlagen geschaffen hat, um 2025 die 5%-Hürde zu überspringen und in den Gemeinderat einzuziehen. Dies wird nur gelingen, wenn sich Infights in der Wiener Landesorganisation in Grenzen halten und auch mit LINKS ein Einvernehmen hergestellt werden kann – schlussendlich alle an einem Strang ziehen. Der Einzug in den Wiener Gemeinderat wäre ein zentraler Schritt in Richtung Etablierung der kommunistischen Partei in ganz Österreich und damit in Hinblick auf die kommenden Nationalratswahlen – regulär im Jahr 2029.
Lücken in der Datenlage und der Diskussion
Aus marxistische Sicht weisen viele der vorhanden Analysen des Wahlverhaltens doch starke Lücken auf. Das bedeutet schon bei einer nachvollziehbaren Definition von “Klasse”. Auf einige der Probleme hat Natascha Strobl zuletzt in ihrem Blog-Beitrag hingewiesen.
Die vorhanden Wählertrends, Nachwahlbefragungen und Studien bilden eher viele Mosaik-Steine, aus denen Tendenzen sichtbar werden, mitunter aber sehr unterschiedliche Dinge abgeleitet werden können. Das, was scheinbar gut untersucht ist, sind die Zusammenhänge zwischen Wohnort, Einkommen und Migrationsbiografie sowie zwischen Wohnort, Einkommen und Wahlverhalten. Macht aber ein geringes Durchschnittseinkommen einen “Arbeiterbezirk” aus oder braucht es dafür andere Kriterien? Welche Änderungen in der Klassenzusammensetzung gibt es etwa in den verschiedenen Wiener Bezirken oder in kleineren Städten? Methodische Anregungen für eine differnzierte Analyse gibt die soeben erschienene Studie von Linus Westheuser und Thomas Lux (2024). Hoffentlich ein Anstoß, in diese Richtung weiterzuarbeiten.
Links
- Linus Westheuser und Thomas Lux (2024): Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung Klasse als politischer Kompass?
- Natascha Strobl (2024): Wer sind die Arbeiter?
- Laurenz Ennser-Jedenastik (2017): Dass es in Österreich keine Linkspartei gibt, liegt nicht an den Wählern
- Martina Zandonella (2020): Ökonomische Ungleichheit zerstört die Demokratie
- Martina Zandonella, Tamara Ehs (2024): AK-Stadtpunkte 47: Tamara Ehs & Martina Zandonella – Mehr zusammenbringe
- Soziologe Oliver Nachtwey: „Klassengesellschaft war nie weg“
- Roland Atzmüller (2002): Wie macht man eine Arbeiterpartei?
- Günther Hopfgartner (2024): Schon wieder Donnerstag – 9 Thesen zum Kampf gegen Recht
Dieser Beitrag ist erstmals auf www.kpoe.at erschienen.