Aktivist*innen wollen den vollständigen Abriss der Nordbahnhalle stoppen. Eine davon, Elke Rauth, spricht im Interview über den Stand der Dinge und den Wert der Halle.
Der Nordbahnhalle in Wien droht der Abriss. AktivistInnen der Initiative IG Nordbahnhalle wollen die Halle retten, wie letzte Woche in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Eine Petition der Initiative richtet sich an Planungsstadträtin Birgit Hebein, Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und Bürgermeister Michael Ludwig. Gefordert wird darin eine „Absage des geplanten Abrisses und der Beginn eines echten Dialogs mit der Bevölkerung“. Grund genug für mosaik bei Elke Rauth, Mitinitiatorin der IG Nordbahnhalle, nachzufragen.
mosaik: Ihr fordert den geplanten Abriss der Nordbahnhalle zu stoppen. Was ist Stand der Dinge?
Elke Rauth: Darüber herrscht große Unklarheit und es fehlen eindeutige Beschlüsse der Politik. Sicher ist derzeit nur, dass mit Ende Juli der Nutzungsvertrag mit den derzeitigen Betreiber*innen ausläuft und damit ab Anfang August jederzeit der Abrissbagger anrollen kann. Ebenfalls sicher ist, dass ein sehr kleiner Teil der Nordbahnhalle für die Straßenbahnführung abgerissen werden muss. Es handelt sich dabei um den Bürotrakt am Beginn der Halle, der in den letzten zwei Jahren Co-Working beherbergt hat. Alle anderen Teile der Halle sind Verhandlungssache. Die Forderung der IG Nordbahnhalle lautet, die restliche Raumstruktur aus großer Veranstaltungshalle, Studio, Magazin und Werkhalle, zu erhalten. So ist weiterhin die unglaubliche Nutzungsoffenheit gegeben und das Ensemble aus Nordbahnhalle und Wasserturm kann zu einem echten gemeinwohlorientierten Zentrum für Nachbarschaft, Kultur und Soziales weiter entwickelt werden.
mosaik: Stichwort gemeinwohlorientiertes Zentrum, in der Nordbahnhalle hat letztes Jahr das von dir veranstalte urbanize Festival unter dem Titel „Grätzelhood“ stattgefunden. Welche Bedeutung hat die Nordbahnhalle für die Nachbarschaft? Wozu braucht es einen Ort wie diesen?
Elke Rauth: Die Nordbahnhalle ist Teil der Stadtwildnis „Freie Mitte“, einem innovativen Grünraumkonzept für das Stadtentwicklungsgebiet am Nordbahnhof. In diesem neuen Stadtteil werden in den nächsten Jahren 20.000 Menschen leben und ebensoviele arbeiten. Die Halle hat sich in den rund zweieinhalb Jahren der Öffnung durch ein Forschungsprojekt zu einem echten Zentrum für den Stadtteil und weit darüber hinaus entwickelt.
Sie ist ein nicht mehr wegzudenkender Raum für kulturelle Projekte und soziale Initiativen. 521 Veranstaltungen mit über 200.000 Besucher*innen haben hier in den letzten zwei Jahren statt gefunden. Das zeigt den enormen Bedarf nach diesem Ort. Die IG Nordbahnhof fordert daher den Erhalt der Halle und einen offenen, partizipativen Entwicklungsprozess unter Einbindung aller Stakeholder – also der Nachbarschaft ebenso wie kulturelle und soziale Initiativen. Die Halle und und der angrenzende Wasserturm bilden gemeinsam mit dem Grünraum eine Einheit, die dem Neubaugebiet Identität gibt. Gleichzeitig sind sie die letzten historischen Verweise auf den ehemaligen Nordbahnhof, der immer Ankunfts- und damit Hoffnungsort war.
Im Nationalsozialismus diente der Bahnhof der Deportation jüdischer Mitbürger*innen, es ist also auch ein historischer Gedenkort für den dunkelsten Teil unserer Geschichte. Das Ensemble aus Halle und Wasserturm haben das Potential einen demokratischen Raum als zeitgemäßen Gedenkort zu schaffen. Ein offenes, partizipatives und konsumfreies Zentrum, an dem unterschiedliche Menschen sich begegnen und austauschen können, in dem Kunst und Soziales Raum finden, in dem gesellschaftliche Debatten geführt und die Demokratie gestärkt wird. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung und des Erstarken von demokratiefeindlichen Kräften brauchen wir solche Räume.
mosaik: Im zweiten Bezirk gibt es eine grüne Bezirksobfrau, mit Birgit Hebein zudem eine neue Vizebürgermeisterin und vor allem Planungsstadträtin. Diese könnten – neben dem Bürgermeister natürlich – den Abriss wohl stoppen. Wie stehen die beiden dazu?
Elke Rauth: Die grüne Bezirksrätin Uschi Lichtenegger hat in Gesprächen ihr Interesse am Erhalt signalisiert, verweist aber darauf, dass der Bezirk nicht zuständig ist. Die neue Planungsstadträtin Birgit Hebein ist ganz frisch seit 26. Juni im Amt. Sie hat sich gegenüber der Idee des Erhalts positiv geäußert, sieht aber noch Klärungsbedarf bei einigen Fragen. Sie hat angekündigt die soziale Frage und die Klimafrage zusammendenken zu wollen. Genau diese Chance besteht an diesem Ort. Es wäre eine Chance für die neue Planungsstadträtin, mit diesem Ort ein gemeinwohlorientieres Modellprojekt für Nachbarschaft, Kultur und Soziales partizipativ zu entwickeln. Wir hoffen, sie sieht diese Chance und freuen uns auf den Start eines echten Dialogs dazu.
mosaik: Welche nächsten Schritte habt ihr geplant? Wie kann man euch unterstützen?
Elke Rauth: Wir haben die IG Nordbahnhalle gegründet, weil wir die drohende Abrissgefahr sehen. Sehr viele Leute konnten aufgrund der Eile in diesen ersten Schritt nicht eingebunden werden. Wir verstehen uns aber als offene Plattform für Menschen, die sich für den Erhalt der Nordbahnhalle einsetzen und an der Entwicklung dieses Ortes mitarbeiten wollen. Mitstreiter*innen sind äußerst willkommen! Gemeinsam besteht die Chance, diesen einmaligen Ort zu retten.
Darüber hinaus kann man die Petition SOS Nordbahnhalle unterschreiben, kommentieren, an möglichst viele Menschen weiter schicken und auf Social Media teilen. Wer eine offizielle Nordbanh-Hallen-Unterstützungserklärung abgeben will, soll uns diese bitte per Mail schreiben. Es soll überdies zeitnah ein Vernetzungstreffen für Mitstreiter*innen geben. Dieses wird dann über unseren Newsletter ausgesendet.
Die Fragen für mosaik hat Rainer Hackauf gestellt.
Der Artikel Nordbahnhalle: “Gemeinsam können wir die Halle retten” erschien erstmals auf mosaik – Politik neu zusammensetzen.